VG Media zieht Schadensersatzklage gegen Google zurück

Am 9. Juni 2020 - 11:11 Uhr von Tom Hirche - Till Kreutzer

Seit einigen Jahren klagt die Verwertungsgesellschaft (VG) Media vor dem Landgericht (LG) Berlin gegen Google wegen behaupteter Verletzung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger. Nun hat sie die Klage zurückgezogen.

Hintergrund

Die VG Media nimmt das am 1. August 2013 in Deutschland eingeführte Leistungsschutzrecht für einige Presseverlage wahr. Mit ihrer Klage beim LG Berlin versuchte sie insbesondere Schadensersatzansprüche gegen Google durchzusetzen. Diese würden bestehen, weil sowohl bei der Google-Suche als auch bei Google News Auszüge und Bilder aus Presseartikeln angezeigt werden. Ein Entgelt, das den Presseverlagen kraft ihres Leistungsschutzrechts zustünde, sei dafür nicht entrichtet worden. Seit November 2014 haben alle in der VG Media organisierten Verlage Google eine Gratislizenz eingeräumt. Hierdurch haben sie Google gestattet, ihre Inhalte in Suchergebnissen mit Vorschautexten und -Bildern kostenfrei zu nutzen.

Eine erste Entscheidung in diesem Verfahren erging bereits am 8. Mai 2017. Damals urteilte das Gericht, dass es die Klage der VG Media für „zumindest teilweise begründet“ halte. Allerdings sei vorher zu klären, ob die Paragraphen 87f und 87g des Urheberrechtsgesetzes, in denen das Presseleistungsschutzrecht überwiegend geregelt ist, überhaupt wirksam seien. Denn möglicherweise habe die Bundesregierung beim Durchlaufen des Gesetzgebungsverfahrens (sehenden Auges) gegen EU-Recht verstoßen, indem sie die Vorschriften nicht bei der EU-Kommission notifiziert hat.

Das LG Berlin hatte das Zivilverfahren deshalb ausgesetzt und diese Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Am 12. September 2019 fiel endlich das langersehnte Urteil: Der EuGH stellte – wenig überraschend – fest, dass der Gesetzentwurf des deutschen Leistungsschutzrechts vor Inkrafttreten an die EU-Kommission hätte übermittelt werden müssen. Wegen Missachtung dieser Notifizierungspflicht wurde die deutsche Regelung vom höchsten EU-Gericht für rückwirkend unanwendbar erklärt.

Ein letztes Aufbäumen

Die VG Media hielt dennoch an ihrer Klage gegen Google fest – bis zur mündlichen Verhandlung am 4. Juni 2020, bei der Mathias Schindler von netzpolitik.org anwesend war. Er hat uns von einem über zweistündigen Schlagabtausch berichtet, bei dem die Prozessvertreter der VG Media versuchten, die Auswirkungen des EuGH-Urteils für das gegenständliche Verfahren in Frage zu stellen.

Zunächst wurde vorgebracht, dass die mangelnde Notifizierung quasi geheilt worden sei, als die EU-Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (sogenannten DSM-Richtlinie) verabschiedet wurde. In der Tat sieht Art. 15 der DSM-Richtlinie ein europäisches Leistungsschutzrecht für Presseverleger vor. Die Richter des Landgerichts ließen dieses Argument jedoch nicht gelten. Zum einen sei die Richtlinie zum Zeitpunkt der EuGH-Entscheidung bereits verabschiedet und damit in dessen Entscheidung berücksichtigt worden. Vor allem aber sei der deutsche Gesetzgeber gemäß Art. 26 Abs. 2 der Richtlinie gar nicht befugt, vor dem 7. Juni 2021 ein nationales Leistungsschutzrecht einzuführen. Jedenfalls hätte ein solches wiederum der Notifizierung bedurft.

Weiter bemühten sich die Anwälte der VG Media darzulegen, dass die vom EuGH erklärte Nichtanwendbarkeit des deutschen Leistungsschutzrechts nicht für Unternehmen gelte, die ihren Sitz außerhalb des europäischen Binnenmarktes haben. Das Gericht verwarf auch diesen Einwand: Die Notifizierungspflicht richte sich an die Mitgliedsstaaten. Sie solle bewirken, dass die EU-Länder keine Alleingänge machen, wenn es um Regelungen geht, die sich auf die Politik der EU und vor allem den Binnenmarkt auswirken. Verstößt ein Staat gegen diese Vorgabe und notifiziert ein neues Gesetz nicht, ist es unwirksam. Das Gesetz wird so behandelt, als wäre es nie verabschiedet worden. Das gilt – natürlich – universell. Wie sollte auch eine nichtige Regelung (die schließlich aus dem geschriebenen Recht entfernt werden muss) Geltung erlangen, sei es nun gegenüber außereuropäischen, sei es gegenüber inländischen Regelungsadressaten?

Schließlich wurde die Behauptung aufgestellt, die Nichtanwendbarkeit betreffe allein Paragraph 87g Absatz 4 des Urheberrechtsgesetzes; die restlichen Vorschriften zum deutschen Leistungsschutzrecht seien weiterhin anwendbar. In besagtem Absatz 4 steht die wichtigste Begrenzung des deutschen Presseleistungsschutzrechts. Nur diese Einschränkung hatte es damals ermöglicht, das neue Recht gegen massive Widerstände, selbst innerhalb der schwarz-gelben Regierungskoalition, überhaupt einzuführen. Hiernach gilt es nur für „gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten […], die Inhalte entsprechend aufbereiten.“ Wäre die Meinung der VG Media richtig, würde das deutsche Leistungsschutzrecht entgegen des Willens des deutschen Gesetzgebers nicht nur gegenüber Suchmaschinen, sondern ohne Einschränkung gegenüber jedermann gelten. Und das wahrscheinlich rückwirkend bis 2013. Die fehlende Notifizierung hätte also zur Folge, dass das Leistungsschutzrecht entgegen des EuGH-Urteils nicht nichtig wäre, sondern einen unermesslich größeren Anwendungsbereich hätte. Eine absurde Argumentation.

Niederlage ohne Urteil

Die VG Media forderte daher, das Verfahren erneut auszusetzen und die Punkte dem EuGH zur abermaligen Vorabentscheidung vorzulegen. Nachdem das LG Berlin deutlich gemacht hatte, dass es diese Verzögerungstaktik nicht mitmachen würde, zogen die Verlegervertreter schließlich die Notbremse: Klageverzicht, laut Pressemitteilung der VG Media, um weitere Kosten zu vermeiden. Damit ist das Verfahren beendet und die VG Media wird sämtliche Kosten tragen müssen (auch die von Google). Die wirtschaftliche Bilanz des deutschen Leistungsschutzrechts geht damit weiter in die Miesen: Verdient wurde praktisch nichts damit, aber die Rechtsverfolgungskosten betragen schon jetzt einen zweistelligen Millionenbetrag. Die nicht zu beziffernden gesellschaftlichen Kosten und Kollateralschäden, zum Beispiel für unterbliebene Investitionen und Innovationen durch neue Anbieter von Suchtechnologien, kommen noch hinzu.

Kein Ende des Streits in Sicht

Dabei sind die gerichtlichen Auseinandersetzungen über das deutsche LSR noch immer nicht am Ende. Zum einen ist beim Kammergericht Berlin noch eine kartellrechtliche Klage der Verlage gegen Google anhängig; in der ersten Instanz unterlagen die Verlage. Und nachdem diese Klage dann ebenfalls zurückgenommen oder sonst wie ins Leere gegangen ist, werden sich die Gerichte – diesmal in ganz Europa – auch schon bald mit dem europäischen Leistungsschutzrecht für Presseverleger auseinandersetzen dürfen. Immerhin wird es wohl auch noch in Jahrhunderten Politikwissenschaftlern und Volkswirtschaftlerinnen als abschreckendes Paradebeispiel für völlig misslungene lobbygetriebene Klientelpolitik dienen können.

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