Am 12. November 2010 - 12:48 Uhr von Till Kreutzer Akteure: Schlagworte: Lizenz: 

Pro Eingriffe in die Kommunikationsfreiheit sind ausgeschlossen

Contra Das Presse-Leistungsschutzrecht wird die Kommunikationsfreiheiten empfindlich beeinträchtigen

Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage führt zu keinerlei Einschränkungen von bisherigen Freiheiten. Die Kommunikationsfreiheit bleibt durch die Zitierfreiheit gewährleistet, die durch das Leistungsschutzrecht nicht berührt werden soll (Schweizer, BDZV und VDZ).

Zudem bezieht sich das Leistungsschutzrecht nicht auf die Texte selbst. Es greift nicht, wenn jemand etwa eine Überschrift, die schon auf einer Verlagswebseite publiziert wurde, auch auf seiner Webseite verwendet. Das Leistungsschutzrecht schützt vielmehr nur vor Übernahmen von Inhalten von der Originalquelle. Der HTML-Code der Verlagswebseiten verkörpert den Wert, den Presseverlage mit erheblichem Investitionsaufwand schaffen. Er soll davor geschützt werden, von Dritten unbefugt genutzt zu werden (Keese). „Nachrichten, Texte oder gar Worte werden schon deshalb nicht monopolisiert, weil das Leistungsschutzrecht Texte nur in Anbindung an das Presseerzeugnis erfasst. Werden Worte oder Sätze ohne Bezug auf das Presseerzeugnis verwendet, kann, wie heute schon, allenfalls das Urheberrecht des Autors betroffen sein.” (Fiedler)

Ein Monopolrecht, das kleine Textausschnitte, kurze Wortfolgen wie einzelne Sätze oder Überschriften erfasst, wird unweigerlich den Umgang mit der Sprache an sich einschränken. Das Urheberrecht vermeidet solche negativen Effekte. Es ist ein selbstverständlicher Grundsatz, dass nicht die Sprache an sich, sondern nur konkrete Formulierungen geschützt sind. Urheberrechtsschutz entsteht erst ab einer gewissen „Schöpfungshöhe”. Kurze Wortfolgen, Überschriften oder einzelne Sätze in Presseartikeln sind in aller Regel nicht urheberrechtlich geschützt. 

Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage soll sich vielmehr auch auf „Teile" von Presseerzeugnissen erstrecken, so der Verlegerentwurf (PDF, § 87f Absatz 1) für eine gesetzliche Regelung des Leistungsschutzrechts aus dem Frühjahr 2010. Mit dieser Regelung wird angestrebt, für die Verwendung von Snippets in Suchmaschinen und News-Aggregatoren Vergütungen fordern zu können. Snippets sind automatisch generierte Ausschnitte aus den verlinkten Inhalten, die aus wenigen Worten bestehen. Fallen sie unter ein ausschließliches Leistungsschutzrecht, bedeutet das, dass derjenige, der sie zuerst veröffentlicht hat, exklusiv darüber entscheiden darf, ob ein anderer sie in irgendeiner Form wiederverwendet und ob hierfür eine Vergütung zu leisten ist. „Als Folge würden selbst kleinste Informationsteile auf allgemein zugänglichen Online-Verlagsseiten kostenpflichtig oder wären zu sperren.” (Gemeinsame Erklärung der deutschen Wirtschaftsverbände).

Der Rechteinhaber – im Fall des Leistungsschutzrechts ein Presseverlag – hat also das alleinige Recht, darüber zu entscheiden, ob zum Beispiel die Überschrift: „Polizei-Skandal bei Castor-Transport” (so Bild.de am 12.11.2010) auch für einen anderen Artikel zum gleichen Thema verwendet werden darf. Oder ob diese Überschrift unter Verweis auf Bild.de in einem Nachrichten-Aggregator angezeigt werden darf. Oder ob in einem Blog berichtet werden darf: „Unter dem Titel ,Polizei-Skandal bei Castor-Transport' berichtet Bild.de heute über den Einsatz französischer Polizeikräfte bei Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten im Wendland.”

Ein derart weit gehender Schutz würde einer Monopolisierung der Sprache sehr nahe kommen und wäre mit den grundrechtlich garantierten Freiheiten wie der Meinungsäußerungs-, der Presse- und Rundfunk- oder der Wissenschaftsfreiheit unvereinbar.

Nur Schutz der "Original-Quelle"?

Die Verleger spielen dieses Argument der Kritiker herunter. Obwohl sich hierauf in ihrem eigenen Gesetzentwurf (PDF) keinerlei Hinweise finden, behaupteten sie bei der Anhörung im Bundesjustiministerium am 28.6.2010, eine solche Folge sei ausgeschlossen. Das Leistungsschutzrecht solle gar nicht den Text oder Textausschnitt selbst schützen, sondern nur das Presseerzeugnis. Nur wenn sich eine Nutzungshandlung auf die Originalquelle, auf den HTML-Code der Verlagswebseite beziehe, greife das Leistungsschutzrecht. Eine Erklärung, was hiermit gemeint sein soll, blieben die Befürworter allerdings schuldig.

Tatsache ist, dass sehr fraglich ist, wie eine Beschränkung auf die Nutzung der „Original-Quelle” gesetzlich umgesetzt werden soll, um konkret festzulegen, welche Nutzungshandlungen unter das Leistungsschutzrecht fallen und welche nicht. Das Presseerzeugnis besteht aus Texten, Bildern und anderen Inhalten. Auch deren Teile sollen geschützt sein. So würde es dann etwa einen Eingriff in das Vervielfältigungsrecht und das „Recht der öffentlichen Zugänglichmachung” darstellen, wenn einzelne Sätze, Überschriften und so weiter entnommen und dann auf einer anderen Webseite veröffentlicht würden. Soll dies etwa nur dann gelten, wenn solche Textschnipsel per Copy & Paste aus der Verlags-Webseite in das CMS eines Blogs kopiert werden und nicht, wenn der Blogger diese Teile abschreibt? Eine solche Unterscheidung macht bei gerade digitalen Inhalten evident keinen Sinn.

Sinnlos wäre sie schon deshalb, weil das eine oder andere nicht nachgewiesen werden kann. Einem digital gespeicherten Textausschnitt, einem Satz oder einer Überschrift sieht man es nicht an, aus welcher Quelle er stammt, seine „Herkunft“ kann nicht objektiv nachvollzogen werden. Die Folge einer solchen Regelung wäre eine beispiellose Rechtsunsicherheit und im Zweifel eine neue Welle von Abmahnungen und Prozessen. Opfer wären all jene, die – ob bewusst oder zufällig – kurze Wortfolgen verwenden, die bereits Bestandteil einer Presseveröffentlichung waren. 

Ein Bezug auf den HTML-Code der Original-Quelle würde diesbezüglich auch nicht weiterhelfen. Denn dieser wird ohnehin nicht mitkopiert, weder bei Suchmaschinen noch bei copy & paste in ein anderes Dokument. Kopiert wird in der Regel nur „Plain Text”, etwa im ASCII- oder Unicode Format (Nolte, Fußnote 56). Daher ist unmöglich festzustellen, ob eine Formulierung unter „Zugriff auf die Originalquelle“ kopiert wurde oder anderweitig übernommen (abgeschrieben, selbst verfasst usw.). Der Schutz würde damit leer laufen, weil der Inhaber des Leistungsschutzrechts die Übernahme beweisen muss. Eine solche Regelung würde dementsprechend keinen Sinn machen, sondern nur Rechtsunsicherheit schaffen.

Diese würde jeden treffen, der im Internet publiziert – jedenfalls zu gewerblichen Zwecken, wenn sich das Leistungsschutzrecht auf gewerbliche Nutzungen beschränken würde. Journalisten und auch Verlage können nicht mehr sicher sein, ob eine Formulierung, die sie verwenden wollen, nicht unter ein Leistungsschutzrecht fällt. Unternehmen und öffentliche Einrichtungen können in der öffentlichen Kommunikation ebenfalls nicht mehr so frei mit der Sprache umgehen, wie es bislang der Fall ist. News-Aggregatoren und Suchmaschinen könnten nicht mehr sämtliche Inhalte (ohne Zustimmung) auffindbar und nutzbar machen. Blogs könnten (ohne Zustimmung) nicht mehr unter Verwendung von Textschnipseln auf Informationen auf Verlagsseiten verweisen.

Das Zitatrecht und andere Schrankenbestimmungen ändern hieran im Übrigen in den meisten Fällen nichts, weil sie hierfür nicht gedacht sind und auch meist keine Anwendung finden werden (Näheres dazu hier).

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