Leistungsschutzrecht XXL – Zu den Plänen der Kommission für ein allgemeines verwandtes Schutzrecht für Verleger

Am 10. Juni 2016 - 14:58 Uhr von Till Kreutzer

Am Mittwoch, den 15.6.2016 geht die Konsultation der EU-Kommission „zur Rolle der Verleger in der urheberrechtlichen Wertschöpfungskette und der "Panorama-Ausnahme"“ zu Ende. Sie enthält bewusst vage gehaltene Hinweise, worauf es die Generaldirektion CONNECT unter Digitalkommissar Oettinger abgesehen hat. Diese sind äußerst bedenklich. Eine diesbezügliche Gesetzesinitiative könnte ein neues Leistungsschutzrecht für jede Art Publikation und für ganz Europa mit sich bringen. Ein legislativer Alptraum, der die Probleme, zu denen das deutsche LSR geführt hat, vervielfachen würde.

In der Konsultation führt die EU-Kommission einen neuen Euphemismus ein: das „verwandte Schutzrecht für Verlage“ (“neighbouring right for publishers”). Die geänderte Wortwahl soll wahrscheinlich suggerieren, dass dieses verwandte Schutzrecht nichts mit dem gescheiterten und geschmähten „Leistungsschutzrecht für Presseverleger“ (LSR) zu tun hat, sondern etwas anderes, etwas Harmloses darstellt. Sie soll wohl weismachen, dass das Recht auf Verlinkung oder andere grundlegende Internet-Freiheiten hiervon ebenso wenig betroffen wären, wie Grund- und Menschenrechte wie die Kommunikations- und Meinungsfreiheit.

Das ganze ist ein Etikettenschwindel, das Gegenteil ist der Fall. Zum einen: Ein „verwandtes Schutzrecht“ ist nichts anderes als ein Leistungsschutzrecht, beide Begriffe sind synonym. Zum anderen: Ein verwandtes Schutzrecht für alle Arten von Publikationen und/oder jede Art Verleger wäre noch wesentlich schädlicher als das LSR, weil es viel weiter ginge und viel mehr Nutzungen und Akteure betreffen würde. Von der größeren Reichweite EU-rechtlicher Schutzrechte ganz zu schweigen. Man könnte sagen: Ein verwandtes Schutzrecht für Verleger ist wie ein LSR XXL.

Wer wäre Inhaber eines verwandten Schutzrechts für Verleger?

In der Konsultation ist lediglich die Rede von einem „verwandten Schutzrecht für Verleger aller Sektoren“. Weder wird definiert, was ein Verleger ist, noch konkret, welche Sektoren hier gemeint sind. In der Einleitung werden „Verleger von Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und wissenschaftlichen Zeitschriften“ genannt. Da sich die Fragen jedoch ausdrücklich auf Verleger “aller Sektoren” bezieht, ist diese Aufzählung offensichtlich nicht abschließend. Es ist also anzunehmen, dass es zumindest um jede Art verlegerische Leistung bei Sprachwerken geht. Anders ausgedrückt: Jede Publikation von Texten und darin enthaltene Fotos, Abbildungen etc. durch „einen Verleger“ soll geschützt werden.

Wenn man bedenkt, dass jede Äußerung im Internet, sei es ein Artikel auf einer Webseite oder in einem Blog, seien es Kommentare in Foren oder sozialen Netzwerken oder Tweets „Publikationen“ sind, wird die Dimension der unweigerlich mit einem solchen Recht einhergehenden Verwirrung deutlich. Der Anwendungsbereich eines solchen Schutzrechts wäre uferlos.

Auch wenn sich das Recht „nur“ auf Leistungen von Verlegern bezöge, würde sich hieran wenig ändern. Der Terminus „Verleger“ ist in der digitalen Welt nicht mehr trennscharf zu definieren. Verleger ist schließlich kein geschützter Begriff wie „Rechtsanwalt“ o. ä. Schon im deutschen LSR (§ 87f UrhG) ist der Versuch kläglich gescheitert, den Rechteinhaber bzw. die Art geschützter Publikationen klar zu bezeichnen. Auch im EU-Recht wird das nicht besser gelingen. Schon allein deshalb, weil es kaum zu rechtfertigen wäre, Modeblogs oder Gossipsites den Schutz zu verwehren, während er gala.de oder ähnlichen Verlagspublikationen gewährt wird.

Was wäre geschützt?

Hinzu kommt das hinlänglich bekannte und nicht zu lösende Problem, dass es schlicht nicht zu definieren ist, was ein Verlegerrecht eigentlich schützen soll. Texte, Abbildungen, Fotos etc., die in einer Publikation enthalten sind, werden durch das Urheberrecht oder auch Lichtbildrechte vollumfassend geschützt. Dadurch dass diese Inhalte publiziert werden, entsteht nichts Neues, nicht Anderes, das man vom urheberrechtlich geschützten Werk unterscheiden könnte. Ein Text ist ein Text, indem er auf einer Webseite oder in einem Buch veröffentlicht wird, ändert sich hieran nichts (siehe http://leistungsschutzrecht.info/argumente, Stichwort „Die Leistungen der Presseverleger sind mit denen anderer Werkmittler nicht vergleichbar“).

Dies hat auch der Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Christian Sprang, hervorgehoben, der sich ausdrücklich gegen ein Leistungsschutzrecht für Verlage ausgesprochen hat. Zur Frage, worauf sich ein solches beziehen könnte, schreibt er:

„Das verlegte Werk scheidet als Anknüpfungspunkt aus, weil an ihm bereits das Urheberrecht des Autors hängt. Würde das Werk zusätzlich zum Schutzgegenstand eines Verlegerrechts gemacht, ginge dies entweder zu Lasten des Urhebers (dessen Rechtsstellung geschwächt würde) oder zu Lasten des Verlegers (dessen Recht nur pro forma bestünde und nicht selbständig durchsetzbar wäre) und riefe zudem bei Werknutzern bzw. bei Endverbrauchern erhebliche Rechtsunsicherheit hervor. Die Erscheinungsform der Publikation wiederum eignet sich nicht als Anknüpfungspunkt, weil sie beliebig wandelbar ist und Layouts zudem häufig unter Nutzung rechtlich geschützter Leistungen Dritter (Bildurheber, Grafiker etc.) entstehen. Sonstige Investitionsgegenstände von Buch- oder Musikverlagen wie Marketing, Vertrieb, Logistik etc. können aufgrund ihrer Eigenart keinen Anknüpfungspunkt für ein Verlegerrecht bieten. Alle Lösungen für ein Verlegerrecht, die ausschließlich an Investitionen von Verlagen ansetzen, würden wiederum notwendigerweise in teilweise erhebliche Widersprüche zur geltenden urheberrechtlichen Rechtslage führen, z.B. bei Investitionen in gemeinfreie oder aus sonstigen Gründen nicht schutzfähige Werke.“

Sollte entgegen dieser - keineswegs neuen - Erkenntnisse der Text/die Publikation selbst zum Gegenstand des Verlegerrechts gemacht werden, entstehen unauflösbare Abgrenzungsprobleme zum Urheberrecht und vielfältige Kollisionen zwischen den beiden Rechten (siehe hierzu sogleich). Zudem würde sich hierbei allem voran die Frage stellen: Warum sollen für Publikationen neue Verlegerrechte geschaffen werden, wenn diese ohnehin schon umfassend vom Urheberrecht geschützt sind?

Verleger-Leistungsschutzrechte schaffen eine weitere „Schutzschicht“, wodurch das Rechte-Dickicht noch undurchdringlicher wird

Reformbemühungen auf nationaler und EU-Ebene streben seit Jahren an, das Urheberrecht an die Digitale Welt anzupassen. Eine mittlerweile wohl allseits erkannte Notwendigkeit liegt darin, dass es für die Nutzer einfacher wird, mit dem Urheberrecht umzugehen, damit sie nicht ständig ungewollt und unbewusst gegen Rechte verstoßen.

Ein allgemeines verwandtes Schutzrecht für “verlegerische Leistungen” (vulgo: Publikationen) würde dieses Ansinnen konterkarieren und genau das Gegenteil bewirken. Es schafft eine weitere Schicht an Schutzrechten für bereits – durch das Urheberrecht – sehr weit gehend geschützte Inhalte. Insbesondere der vorher beschriebene Umstand, dass eine saubere Abgrenzung zum urheberrechtlichen Schutzgegenstand nicht möglich ist, führt unweigerlich zu massiver Rechtsunsicherheit, erhöhten Transaktionskosten, erheblichen Gefahren für die Informationsfreiheit und anderen Kollateralschäden. Auf all diese Bedenken wurde bereits im Zusammenhang mit dem LSR für Presseverlage in Deutschland u.a. von Seiten der Wissenschaft immer wieder dringlich hingewiesen.

Zusätzliche Rechteklärungs- und Transaktionskosten

Unmittelbare Folge wäre zum Beispiel, dass alle, die textuelle Inhalte professionell nachnutzen, noch mehr Rechte klären müssten als ohnehin schon. Anders als das deutsche LSR, das ohnehin nur das Online-Recht der öffentlichen Zugänglichmachung gewährt und sich “nur” an Suchmaschinen und Aggregatoren richtet, ginge ein allgemeines europäisches Verlegerrecht wesentlich weiter. Schon in der Einleitung der Konsultation (Fußnote 2) wird darauf hingewiesen, dass verwandte Schutzrechte “im Allgemeinen die Rechte der Vervielfältigung, Verbreitung, öffentlichen Wiedergabe und öffentlichen Zugänglichmachung” einschließen. So ausgestaltet, beträfe das Recht zum Beispiel jede Form der analogen oder digitalen Kopie der ganzen Publikation bis zu kleinsten Teilen derselben.

Eine Plattform wie buch.de, die Buchrezensionen oder -vorschauen veröffentlicht, müsste neben etwaigen Urheberrechten zusätzlich Verlegerrechte klären. Die Lizenz- und Transaktionskosten würden entsprechend steigen. Vor allem wenn die Inhaberschaft an den Rechten auseinanderfällt, wird die Sache schnell sehr kompliziert. Dieser Fall tritt zum Beispiel ein, wenn der Urheber sich die exklusiven Nutzungsrechte vorbehalten hat und selbst über weitere Verwertungen seines Werks entscheidet, während ein Verlag über die Rechte an seiner Ausgabe (was auch immer das ist) verfügen kann.

Betroffene im Online-Sektor

Sofern der EU-Gesetzgeber nicht weit gehende Beschränkungen einzieht, etwa wie sie im deutschen oder spanischen LSR vorgesehen sind, wäre von einem derart breiten Verlegerrecht so gut wie jeder betroffen.

Natürlich wäre zu erwarten, dass das Haus Oettinger vorrangig auf Abgaben von Google und anderen Online-Diensten abzielt. Zu diesem Zweck müssten (auch) kleinste Textausschnitte (Snippets) unter das Recht fallen, weil Suchdienste nur solche verwenden und keine ganzen Texte. Solche Snippets werden aber auch in Abermillionen von Fällen von Internet-Nutzern jeden Tag verwendet, in Facebook-Posts, Tweets, Blog-Artikeln usw.

Neben den Nutzern und Anbietern der Dienste, in denen Ausschnitte aus Publikationen ständig geteilt, geliked und weiterverbreitet werden, würde ein allgemeines Verlegerrecht im Zweifel unzählige weitere Online-Dienste betreffen. So werden Textausschnitte und -zitate auch auf eCommerce-Plattformen wie Amazon oder Buch.de, bei eBay und anderen Marktplätzen verwendet.

Selbst wenn es sich bei solchen Nutzungen um User-Generated-Content handelt, für den Host- und Plattform-Provider nach geltendem Recht nicht unmittelbar verantwortlich wären, würde plötzlich jede Nutzung solcher Ausschnitte zu einer Rechtsverletzung. Die hiermit einhergehenden Haftungsrisiken für Internet-Service-Provider wären immens. Das gesamte Internet ist ein Medium zum Teilen von Informationen. Beim Teilen im Netz entstehen unweigerlich Kopien. Wenn diese Informationen durch Verleger-Leistungsschutzrechte monopolisiert werden, die sich auch auf kleine Textausschnitte beziehen, wird es das Netz - wie wir es kennen - nicht mehr geben. Denn dann müsste für jeden Schnipsel eines “verlegten” Inhaltes, der weiterverwendet und geteilt wird, eine Lizenz eingeholt, also ein Vertrag abgeschlossen und im Zweifel eine Vergütung bezahlt werden.

Dies würde zunächst offensichtlich jeden betreffen, der online kommuniziert, heutzutage also jedenfalls in der ersten Welt annähernd jede Person, jedes Unternehmen, jede Institution. Forscher könnten beispielsweise nicht mehr ungehindert ihre Forschungserkenntnisse austauschen. Text and Data Mining würde annähernd unmöglich, wenn es nicht mehr „nur“ in Urheberrechte, sondern zudem noch in Verleger-Leistungsschutzrechte eingreifen würde. Autoren könnten nicht mehr ohne weiteres publizieren, weil es ja möglich wäre, dass ein Verlag bereits Rechte an den Worten und/oder Informationen erhalten hat, die der Journalist oder Schriftsteller veröffentlichen möchte.

Und selbst wenn Privatpersonen oder ganz generell „nicht-kommerzielle Nutzungen“ vom Anwendungsbereich eines solchen verwandten Schutzrechts ausgenommen würden (was unwahrscheinlich wäre), wären die Folgen auch für private Nutzer und gemeinnützige Einrichtungen immens. Es ist schon kaum anzunehmen, dass diese von weit gehenden Schrankenregelungen von den Zwängen des neuen Verlegerrechts befreit würden. Selbst dann würde es sie aber insofern erheblich belasten, als das derart verdichtete Rechtedickicht die Kosten, die erforderlich sind, solche Online-Dienste zu betreiben, stark ansteigen lassen würde. Nicht zuletzt, weil gewaltige Rücklagen für Rechteklärung, Rechtsstreitigkeiten, Vergütungszahlungen etc. gebildet werden müssten.

Man braucht kein Prophet sein um vorauszusehen, wer diese Zeche am Ende zu zahlen hätte: Natürlich wie immer der Verbraucher. Kosten würden, soweit möglich, an sie weitergegeben. Ist das nicht möglich, zum Beispiel, weil es sich um kostenlose Dienste handelt, werden viele Dienste ihr Geschäftsmodell verlieren und eingestellt werden. Mit anderen Worten: Wegen der durch ein solches Recht einhergehenden Rechtsunsicherheit und die Kostenfolgen wird Wettbewerb verhindert. Leistungsschutzrechte – das hat man bereits am deutschen und spanischen LSR gesehen – erzeugen hohe Markteintrittsbarrieren. Nur die ganz großen Anbieter sind letztlich in der Lage, mit erheblicher Rechtsunsicherheit, Lizenzierungsverpflichtungen, Rechtsstreitigkeiten, Vergütungszahlungen usw. umzugehen. Auch dies schadet natürlich allen voran den Nutzern.

Ebenso negativ würden sich diese Faktoren auf die Innovation auswirken. Welcher Investor würde ein Startup fördern, dessen Geschäftsmodell durch derartige Rechts- und Kostenrisiken unwägbar wird? Ein weitergehendes Abwandern von Kreativität und Innovationskraft in diejenigen Regionen der Welt – allen voran die USA – in denen solche innovationsfeindlichen Grundvoraussetzungen nicht existieren, wäre die Folge.

Auswirkungen auf Offline-Nutzungen

Ein generelles Verlegerrecht für verlegte Publikationen hätte auch für Offline-Nutzungen erhebliche Folgen.

Wenn schon kleinste Teile, einzelne Sätze oder Formulierungen – die nach dem Urheberrecht nicht geschützt sind – von einem solchen Verlegerrecht erfasst werden, betrifft die hierdurch erzeugte Rechtsunsicherheit jede Art von Veröffentlichung. Ein Wissenschaftler, der einen Fachzeitschriftenartikel schreibt, kann genauso wenig sicher sein, hierbei nicht geschützte Formulierungen zu verwenden, wie ein Zeitungsjournalist. Beschränkt sich das Verlegerrecht nicht ausschließlich auf Online-Sachverhalte (und damit auf das „Recht der öffentlichen Zugänglichmachung“), sondern gewährt allgemein ein ausschließliches Vervielfältigungsrecht, erfasst dessen Rechtsunsicherheit praktisch jede Publikation.

Auswirkungen auf die Gemeinfreiheit und Open Access

Nach geltendem EU-Recht endet der Urheberrechtsschutz siebzig Jahre nach dem Tod des Autors. Im Anschluss wird ein Text gemeinfrei und kann ohne jegliche Einschränkung von jedermann zu jedem Zweck genutzt werden, z. B. für wissenschaftliche Zwecke oder Wiederveröffentlichung in einer Open-Access-Bibliothek wie dem Internet-Archive oder dem Gutenberg-Projekt.

Wenn das Verleger-Leistungsschutzrecht als weitere Schutzschicht dem Urheberrecht hinzugefügt wird, funktioniert diese relativ simple Regelung nicht mehr. Hiervon würden freie Wissensressourcen wie Wikipedia oder Archive.org ebenso stark beeinträchtigt wie das gesamte kulturelle Schaffen behindert würde.

Das Recht an der Publikation (LSR) hätte im Zweifel eine andere Laufzeit als das Recht an der Kreation (Urheberrecht). Denn es bezieht sich nicht auf die Schöpfung des Textes, sondern auf dessen Veröffentlichung. Verwandte Schutzrechte knüpfen daher in Bezug auf die Schutzfrist in der Regel an die Erstveröffentlichung oder Entstehung der Leistung an. Beim Verleger-LSR wären beide Zeitpunkte im Zweifel identisch, weil ja in der Veröffentlichung die Leistung liegt. Somit werden (weitere) erhebliche Rechtsunsicherheiten in Bezug auf die Gemeinfreiheit erzeugt.

Nehmen wir das Beispiel des Tagebuchs der Anne Frank. Derzeit wird debattiert, ob und in welchen Territorien es in diesem Jahr nach urheberrechtlichen Gesichtspunkten gemeinfrei wird. Obwohl die urheberrechtliche Schutzdauer innerhalb der EU durch eine Richtlinie auf siebzig Jahre nach dem Tod festgelegt ist, gibt es hierüber einige Unklarheit im grenzüberschreitenden Vergleich (siehe auch https://edri.org/readannediary-if-you-can/, http://www.annefrank.centrumcyfrowe.pl/text).

Hätten nun Buchverlage ein eigenes Leistungsschutzrecht, würde die Einschätzung in jedem Fall erheblich erschwert oder gänzlich unmöglich. Wenn solche für einen Zeitraum von beispielsweise fünfzig Jahren nach Erstveröffentlichung gewährt würden und eine Ausgabe des Tagebuchs wäre 1999 erschienen, würden freie Wiederveröffentlichungen bis 2050 blockiert. Würde dann 2019 eine weitere Ausgabe erscheinen, würde das Verleger-Leistungsschutzrecht hieran 2070 enden usw.

Das Beispiel zeigt, welche komplexen Fragen entstehen, wenn man dem Autorenurheberrecht Verlegerrechte hinzufügt, die hiervon unweigerlich überlagert werden: Wem würden die Leistungsschutzrechte eigentlich zustehen? Dem ersten Verleger oder (auch) jedem späteren? Müsste bei der Zweitveröffentlichung durch einen weiteren Verlag dieser vom Erstveröffentlichenden eine Lizenz einholen? Müsste in diesem Fall auch der Autor den ersten Verlag um Erlaubnis fragen, bevor er Zweitveröffentlichungsrechte an einen anderen Verlag vergeben darf? Worauf bezieht sich das Verlegerrecht überhaupt? Auf den Text, das Buch-Layout, jeden einzelnen Satz in dem Buch, alles zusammen?

All diese Fragen sind derzeit völlig ungeklärt und sie werden im Zweifel niemals zufriedenstellend geklärt werden können. Eben weil der Schutzgegenstand eines Verlegerrechts nicht vom Urheberrechtsschutz am Werk unterschieden werden kann.

Auswirkungen auf die Rechte der Urheber

Die vorstehenden Ausführungen sollten es schon deutlich gemacht haben: Verlegerleistungsschutzrechte überlagern unweigerlich die Rechte der Urheber an den verlegten Werken und behindern ihre Ausübung.

Eines der Grundprinzipien des Urheberrechts liegt darin, dass die Autoren frei entscheiden können, wer was zu welchen Konditionen mit ihrem Werk machen darf. Sie können Verlagsrechte also zum Beispiel exklusiv an einen Verlag vergeben oder nur nicht-exklusive Rechte an zwei oder mehr Verlage. Sie können sich Rechte für Open-Content-Publikationen vorbehalten oder zeitliche Beschränkungen vorgeben. Sie können ihre Verwertungsrechte auch inhaltlich aufspalten und zum Beispiel Rechte zur Online-Publikation an einen Verlag und zur Print-Publikation an einen anderen Verlag vergeben. Zudem können die Rechte räumlich und zeitlich aufgespalten werden usw.

Diese Freiheit entfällt oder wird zumindest erheblich eingeschränkt, wenn das Verleger-Leistungsschutzrecht das Urheberrecht am Werk überlagert. Zweitverwertungen sind dann davon abhängig, dass der erstveröffentlichende Verlag dem zustimmt – und warum sollte er dies wohl tun? Die Urheber von Sprachwerken verlieren hierdurch einen Großteil ihrer Entscheidungsfreiheit und damit Einnahmemöglichkeiten aus Mehrfachverwertungen.

Was hat das verwandte Schutzrecht für Presseverleger mit der Reprobel-/Vogel-Rechtsprechung zu tun?

Kurz gesagt: Gar nichts. Zwar haben der EuGH und der BGH in diesen Urteilen entschieden, dass Verleger nicht an den Ausschüttungen von Kopiervergütungen teilhaben können. Weil sie keine eigenen Rechte haben, die sie in eine Verwertungsgesellschaft einbringen können. Ein allgemeines Leistungsschutzrecht für Verleger zu schaffen, um diese Rechtsprechung zu korrigieren – sofern man dies politisch für notwendig hält – hieße jedoch mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Es wäre eine – angesichts der großen Bedenken gegen einen solchen Schritt – völlig unverhältnismäßige Maßnahme.

Zum einen braucht es keines eigenen Leistungsschutzrechts, um den Verlegern eine Beteiligung an den Einnahmen von Verwertungsgesellschaften zu bescheren. Eine simple Regelung, wie sie Justizminister Heiko Maas vorgeschlagen hat, würde genügen. Es müsste lediglich geregelt werden, dass Verlegern, obgleich nur Inhaber abgeleiteter urheberrechtlicher Nutzungsrechte (und nicht eigener Leistungsschutzrechte), ein Anteil an den Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften zugewiesen werden kann.

Zum anderen wäre – wie Christian Sprang vom Börsenverein ganz richtig ausführt – keineswegs gesagt, dass z. B. die VG WORT nach Einführung eines eigenen Verleger-Leistungsschutzrechts zu ihrer bisherigen Verteilpraxis zurückkehren würde oder zurückkehren könnte. Die Maßnahme wäre daher nicht nur unverhältnismäßig, sondern unter Umständen auch ungeeignet.

Fazit

Natürlich hängen die Folgen einer Einführung eines generellen Leistungsschutzrechts für Verleger von dessen konkreter Ausgestaltung ab. Die Erfahrungen in den Ländern, in denen solche Rechte bereits eingeführt wurden, zeigen aber, dass hiermit nichts zu gewinnen ist und dass sich viele der Kollateralschäden nicht vermeiden lassen. Der Fehler liegt letztlich nicht in der Ausgestaltung, sondern in dem Ansatz an sich. Verleger haben keine Leistungsschutzrechte weil sie keine brauchen und weil solche nicht rechtssicher konstruiert werden können.

Die einzig denkbaren Verleger-Leistungsschutzrechte – wie etwa ein Layout-Schutzrecht oder ähnliches – nützen jedoch den Verlegern kaum etwas und sind damit bestenfalls überflüssig. Alle darüber hinaus gehenden Rechte werden immer massiven Schaden anrichten. Die Idee ist rückwärtsgewandt und sie läuft den Notwendigkeiten und Herausforderungen der Digitalen Welt diametral zuwider. Welche Hilfestellungen auch immer Verlage in der Zukunft vom Gesetzgeber benötigen: eigene Leistungsschutzrechte gehören nicht dazu.

Insofern kann man nur jedem raten, der an der Freiheit zu kommunizieren und sich in öffentlichen Räumen auszutauschen ein Interesse hat, sich jetzt in der noch laufenden EU-Konsultation gegen das mögliche Ansinnen der Kommission auszusprechen. Eine kommentierte Version des Fragebogens mit Erläuterungen findet sich hier, die Teilnahme dauert in der Regel nur wenige Minuten.

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