Bulgarische Ratspräsidentschaft ignoriert Erfahrungen aus deutschem Leistungsschutzrecht

Am 11. Februar 2018 - 19:11 Uhr von Tom Hirche

Seit dem 1. Januar hat Bulgarien die Präsidentschaft im Europäischen Rat inne. Dort versucht man aktuell, sich auf eine gemeinsame Position zum Vorschlag der EU-Kommission für eine neue Urheberrechtsrichtlinie zu verständigen. Der Kompromiss, den Bulgarien nun in puncto Leistungsschutzrecht für Presseverleger vorgeschlagen hat, ist an Ignoranz kaum zu überbieten.

Große Diskussionen im Europäischen Rat

Zum jetzigen Zeitpunkt weichen die unterschiedlichen Positionen der Mitgliedstaaten noch stark voneinander ab. Grob gesagt gibt es zwei Lager: Während sich manche Mitgliedstaaten dem Vorschlag der Kommission anschließen wollen, favorisieren andere, statt eines Leistungsschutzrechts eine Vermutungsregel zugunsten von Presseverlegern einzuführen. Diese würden dann immer noch nicht über gänzlich eigene Rechte verfügen, könnten aber leichter gegen urheberrechtswidrige Übernahmen ihrer Artikel vorgehen. Eine Mehrheit gibt es allerdings für keine dieser beiden Extrempositionen, weil selbst innerhalb der Lager keine Einigkeit über die genaue Umsetzung herrscht.

Die Kopie eines der schlechtesten Gesetze

Die Bulgarische Ratspräsidentschaft hat nun eine Kompromisslösung ausgearbeitet, die drei Einschränkungen des Kommissionsvorschlags vorsieht. Erstens soll sich das Leistungsschutzrecht nur noch gegen Service Provider im Internet richten, zweitens sollen diese Service Provider einzelne Wörter oder sehr kurze Textausschnitte aus dem Presseartikel lizenzfrei nutzen dürfen, und drittens hat man die bisher vorgesehen Schutzfrist von 20 Jahren in Klammern gesetzt und will später noch einmal darüber reden.

Sollte man sich am Ende darauf einigen, die Frist auf 1 Jahr festzusetzen, würde der Vorschlag ziemlich exakt dem bereits gültigen deutschen Leistungsschutzrecht für Presseverleger entsprechen, das nur gegenüber Anbietern von Suchmaschinen bzw. News-Aggregatoren gilt und ebenfalls eine Ausnahme für "einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte" enthält. Damit will Bulgarien genau das Gesetz EU-weit implementieren, das in Deutschland im Hauruckverfahren entgegen aller Warnungen eingeführt und daher mit Ansage krachend gescheitert ist.

Warum ein Leistungsschutzrecht keine Lösung ist

Entweder sind in Bulgarien die Erfahrungen mit dem deutschen Leistungsschutzecht nicht bekannt oder man hat sie vergessen oder – und das ist am wahrscheinlichsten – man ignoriert sie bewusst und möchte den Verlegern ein (vermeintliches) Geschenk machen. In der Hoffnung das zu verhindern, soll hier noch einmal kurz zusammengefasst werden, warum das deutsche Leistungsschutzrecht für Presseverlage gescheitert ist bzw. scheitern musste.

Presseverleger behaupten ohne Unterlass, dass Suchmaschinen und Aggregatoren, also "Service Provider", ihnen schadeten, weil Leser sich nicht zum Artikel durchklickten, sondern sich stattdessen mit der Nachrichtenübersicht und den kurzen Textausschnitten zufriedengäben. Doch hier wird ein Problem behauptet, das es gar nicht gibt. Jedenfalls fehlt ein Nachweis für den erlittenen Schaden. Stattdessen hat ein Versuch des Springer-Verlags im November 2014 gezeigt, dass der Traffic auf den Verlagsseiten zurückgeht, wenn bei Google/Google News keine Textausschnitte angezeigt werden. Man profitiert also von solchen Angeboten.

Verlage können schon jetzt mithilfe der Datei robots.txt die Anzeige kurzer Textausschnitte genau festlegen. Zumindest Google – und um dieses Unternehmen bzw. seine Milliardenumsätze geht es vor allem – hält sich an die darin gemachten Vorgaben. Den Verlagen muss also kein neues Recht gegeben werden, damit sie Aggregatoren und Suchmaschinen untersagen können, Teile ihrer Artikel zu verwenden. Worum es eigentlich geht, ist Geld.

Doch das werden die großen Provider niemals zahlen. Entweder sind sie zu wichtig, weshalb ihnen kostenlose Lizenzen gegeben werden, oder Geld fordernde Verlage werden ausgelistet oder die Länge des Textausschnitts wird so weit angepasst, dass er lizenzfrei verwendet werden kann. Man werfe einen Blick auf Google News und stelle fest: Hier gibt es nur noch Überschriften! Und selbst wenn Überschriften am Ende unter das Leistungsschutzrecht fallen sollten, hat Google bereits in Spanien gezeigt, dass man auch bereit ist, ganze Dienste einfach zu schließen.

Ein Auslisten oder Kürzen würde die großen Verlage nur kurz treffen. Sie verfügen über eine bekannte Marke und eine große Stammleserschaft, sodass sie den Verlust im Laufe der Zeit wahrscheinlich ganz gut verkraften würden. Kleine Verlage hingegen verfügen weder über das eine noch über das andere und würden daher massiv leiden. Sie sind auf den Traffic von Suchmaschinen & Co. angewiesen. Würde dieser plötzlich wegbrechen, hätte das existenzbedrohende Folgen. Ein Verlagssterben wäre die Folge, was wiederum den Großen in die Karten spielen würde.

Wer ebenfalls leiden würde, wären die kleinen Service Provider und innovativen Start-ups. Sie könnten die Lizenzforderungen der Verlage nicht bezahlen, sind aber gleichzeitig nicht in der Position kostenlose Nutzungsrechte zu erhalten. Wer nicht zahlt, wird dann eben verklagt, aus dem Markt gedrängt und damit gezwungen, außerhalb von Europa Fuß zu fassen. Ein schwerer Schlag für den Innovationsstandort Europa, vor dem auch schon Investoren gewarnt haben.

Das Leistungsschutzrecht ist in Deutschland nicht gescheitert, weil es ein nationaler Alleingang war, sondern weil der Ansatz schon komplett falsch ist. Ein EU-weites Leistungsschutzrecht wird deshalb zu den exakt selben Ergebnissen führen, nur eben in größerem, verheerenderem Ausmaß.

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