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Ein tiefer Graben in der Presselandschaft
In letzter Zeit wird immer häufiger über das Leistungsschutzrecht für Presseverleger berichtet. Dabei ist ein deutlicher Unterschied in der Stoßrichtung zu erkennen: Während die konservativen Medien dem Heiligen Günther, ihrem Schutzpatron, huldigen, erkennen die Innovatoren die großen Gefahren seines Gesetzvorschlags.
Vor drei Wochen hat EU-Digitalkommissar Günther Oettinger die Verlagshäuser auf die negative Berichterstattung ihrer Online-Redaktionen zum Leistungsschutzrecht für Presseverleger hingewiesen. Sie sollten lieber für Ruhe sorgen. Wenn sie in den nächsten Wochen kämpften, dann hätten sie "ein Zeitfenster für Ihre ökonomische und damit kulturell-demokratische Zukunft versäumt." So lautete sein Aufruf auch "schwärmen Sie aus!"
Und so schwärmten sie aus. Heute singt Carsten Knop in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) ein Loblied auf Oettinger (Print Seite 20) und möchte erreichen, dass wir alle nach Brüssel fahren und ihn mal ganz dolle drücken. Man müsse ihm schließlich zugutehalten, "wenigstens ein Signal setzen zu wollen." Er vertrete nun mal Meinungen, "die mit der großen Gemeinde derjenigen, die sich mit Medienfragen im Netz befassen, nicht unbedingt kompatibel sind." Nachfragen, warum dann er gerade nicht auf diese "Gemeinde" hört und seine Meinung nicht überdenkt, soll man wohl nicht. Schließlich würde man dann den guten Willen Oettingers übersehen. Um Argumente scheint es also gar nicht mehr zu gehen.
In der gestrigen Ausgabe der FAZ versuchte Adrian Lobe quasi sämtliche Institute, Vereine und ThinkTanks, die zu Fragen der digitalen Welt forschen, als Lobbyisten amerikanischer IT-Unternehmen zu diskreditieren. Er wittert hier die große Verschwörung, von der noch niemand weiß. Alle seien gekauft und jeder sei mit jedem verbandelt. Beweise werden dafür freilich keine geliefert. Stattdessen gibt es zahlreiche Vermutungen, Andeutungen, Spekulationen und die Aussage eines Germanistikprofessors. Dass der Autor ernsthaft überrascht scheint, dass nicht Schuhläden in die Internetforschung investieren sondern IT-Unternehmen, verwundert schon sehr. Das Ziel des Artikels ist klar: Sämtlicher Wissenschaft, die ansatzweise Positionen zugunsten der IT-Branche vertritt, solle die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden. Da kann man nur von Glück reden, dass die Bertelsmann SE & Co. KGaA, eines der weltweit größten Medienunternehmen, noch keine eigene Stiftung (Namensvorschlag: Bertelsmann Stiftung) gegründet hat und damit Institute, Vereine und ThinkTanks mit Forschungsgeldern versorgt – zum Beispiel zu Fragen der digitalen Welt.
Aber die FAZ ist nicht das einzige Medium, dass auf Spekulationen zur Stimmungsmacht setzt, anstatt auf Argumente. So titelte das Handelsblatt heute: "Berlin macht sich für EU-Leistungsschutzrecht stark". Belegt wird diese Aussage nicht und die Relativierung folgt – ironischerweise – bereits im Anrisstext in Form eines "so scheint es". Da hat die Überschrift aber ihre Wirkung schon entfaltet. Dass im Text lediglich darauf hingewiesen wird, die Bundesregierung halte es für richtig, grundsätzliche Frage auf EU-Ebene zu diskutieren, interessiert dann schon fast keinen mehr. Und wenn der Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD) dasselbe sagt, wird daraus gleich gefolgert, er halte das Leistungsschutzrecht für ein geeignetes Mittel, um "der Marktmacht von Google Paroli zu bieten und die Interessen der Verlage angemessen zu vertreten." So einfach geht das.
Vielleicht sollte man noch anmerken, dass FAZ und Handelsblatt Lobbyismus in eigener Sache betreiben. Beide sind große Befürworter des geplanten europäischen Leistungsschutzrechts. Darauf muss der "Qualitätsjournalismus" aber offensichtlich nicht hinweisen. Ebensowenig wie auf die Berichterstattung, die sich tatsächlich inhaltlich kritisch mit Oettingers Vorschlag befasst.
Das machen glücklicherweise die vom EU-Kommissar ungeliebten Online-Redaktionen, nachdem er sich mit einigen Vertretern in Brüssel getroffen hat, um über seine Urheberrechtsreform zu sprechen. Während Spiegel Online, Golem.de und Zeit Online sachlich darüber berichteten, blieb die Gesprächsrunde von den konservativen Medien mal wieder unerwähnt. Das gleiche gilt, wenn sich der Chefredakteur von Zeit Online ausdrücklich gegen das Leistungsschutzrecht ausspricht oder wenn der Chefredakteur von FAZ.net die Zugriffszahlen veröffentlicht, um zu zeigen, wie sehr man von Suchmaschinen und anderen Diensten profitiert. Hier vollzieht sich ein tiefer Graben zwischen konservativer und innovativer Presse: Während die einen auf Wohlfühl-Rhetorik und wilde Spekulationen setzen, liefern die anderen noch tatsächlich journalistische Arbeit ab, damit die Bevölkerung die Chance erhält, sich eine informierte Meinung zu bilden.
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