Zweiter Entwurf des BMJV geht zwei Schritte zurück

Am 6. April 2020 - 22:52 Uhr von Tom Hirche

Vergangene Woche wurde ein weiterer Entwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) bekannt, mit dem das Leistungsschutzrecht für Presseverleger (erneut) eingeführt werden soll. Leider mit wenig Licht und viel Schatten.

Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Im Januar hatte das BMJV einen ersten Diskussionsentwurf veröffentlicht. Daran schloss sich eine zweiwöchige Konsultationsphase an, in der abermals zahlreich Stellung genommen wurde. Ob es sich bei dem nun als Referentenentwurf bezeichneten Dokument tatsächlich um die endgültige Festlegung aus dem Hause von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) handelt, ist unklar. Nachdem Julia Reda auf dessen Veröffentlichung aufmerksam gemacht hatte, wurde es wieder entfernt.

Die Einführung des Presseleistungsschutzrechts auf nationaler Ebene ist durch die DSM-Richtlinie zwingend vorgegeben. Der Gesetzgeber kann und sollte allerdings versuchen, den drohenden Schaden durch Klarstellungen so weit wie möglich zu reduzieren. In dieser Hinsicht stellt der (vermeintlich) zweite Entwurf im Ergebnis einen Rückschritt von den teils guten Ansätzen des ersten Entwurfs dar.

Fakten nicht im Schutzbereich

Positiv anzumerken ist zunächst, dass „die Nutzung der in einer Presseveröffentlichung enthaltenen Tatsachen“ nicht vom Leistungsschutzrecht erfasst und also erlaubnisfrei möglich sein soll. Das würde beispielsweise Ergebnisse von Sportereignissen oder Wahlen betreffen. Allerdings wäre dies ohnehin der Fall, denn das Leistungsschutzrecht darf nicht zur Monopolisierung von Sprache führen.

Damit bleibt aber die Frage, wo die Grenze zwischen reiner Faktenwiedergabe und einer erlaubnispflichtigen (Teil-)Zugänglichmachung einer Presseveröffentlichung liegt. Dieses Problem ist einer der Geburtsfehler des Presseleistungsschutzrechts, den das deutsche Umsetzungsgesetz naturgemäß nicht zu lösen vermag – zum Schaden gerade kleiner Unternehmen. Diese sehen sich mit einer Rechtsunsicherheit konfrontiert, die nur ein Gericht am Ende eines meist kostspieligen Rechtsstreits beseitigen können wird.

Klarstellung zu Hyperlinks

Die DSM-Richtlinie gibt vor, dass „die private oder nicht kommerzielle Nutzung einer Presseveröffentlichung durch einzelne Nutzer“ ebenfalls vom Schutzbereich des Leistungsschutzrechts ausgenommen ist. Offen bleibt allerdings, unter welchen Umständen eine Nutzung privat oder nicht kommerziell ist.

Die vorläufige Gesetzesbegründung versucht sich auf S. 43 an einer Klarstellung mittels eines Beispiels:

Setzt ein Nutzer etwa zu privaten Zwecken einen Tweet ab, der sich auf eine Presseveröffentlichung bezieht, wird diese Nutzung vom Schutzbereich nicht umfasst, auch wenn die Plattform (hier: Twitter) kommerzielle Zwecke verfolgt. Denn insoweit kommt es allein auf den vom Nutzer verfolgten – nicht kommerziellen – Zweck an.

Leider hat die Begründung nur beschränkten Einfluss auf die Anwendung des Gesetzes. Besser wäre daher eine allgemein formulierte Regelung direkt im Gesetzestext, aus der sich die Reichweite der Schutzbereichsbegrenzung ergibt.

Acht Wörter in der Regel noch erlaubt

Ebenfalls unmittelbar aus der DSM-Richtlinie ergibt sich die Ausnahme für „die Nutzung einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge aus einer Presseveröffentlichung“. Eine weitere Konkretisierung erfolgt nicht und wird damit den Mitgliedsstaaten überlassen. Der erste Entwurf des BMJV enthielt bereits gute Ansätze. So sollte beispielsweise klargestellt werden, dass die Überschrift per se erlaubnisfrei genutzt werden dürfe.

Anstatt jedoch daran anzuknüpfen, scheint man davon vollständig Abstand genommen zu haben. Nach der nun nur noch einzigen Präzisierung sollen einzelne Wörter oder sehr kurze Auszüge eines Textbeitrags „in der Regel nicht mehr als acht Wörter“ umfassen. Damit hat sich der deutsche Gesetzgeber in der langjährigen Historie des Presseleistungsschutzrechts erstmalig zu einer konkreten Wortgrenze positioniert. Gleichwohl macht er durch die gewählte Formulierung („in der Regel“) deutlich, dass diese Grenze nicht absolut ist. Den Rest entscheiden die Gerichte.

In der Sache ist eine quantitativ bestimmte Wort- oder Zeichengrenze zu begrüßen. Sie bietet hohe Rechtssicherheit und lässt sich technisch problemlos umsetzen. Letzteres ist gerade für Anbieter automatisierter Systeme wie Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren von hoher Wichtigkeit. Die Grenze bei acht Wörter zu ziehen, ist jedoch fehlgeleitet.

Schleierhafte Begründung

Erwägungsgrund 58 der DSM-Richtlinie besagt, dass die Ausnahme für einzelne Wörter und sehr kurze Auszüge nicht dazu führen darf, dass das Leistungsschutzrecht leerläuft. Solange die europarechtlichen Vorgaben nicht geändert werden, hat sich nicht zuletzt der deutsche Gesetzgeber daran zu halten.

Die vorläufiger Gesetzesbegründung verweist auf eine Erhebung von 1990, nach der sich ein Satz „in der deutschen überregionalen Qualitätspresse“ aus durchschnittlich 19,8 Wörtern zusammensetze. Zustimmung verdient die anschließend getroffene Feststellung, dass „die freie Nutzung von acht Wörtern und damit von weniger als der Hälfte eines Durchschnittssatzes in der überregionalen Qualitätspresse die Wirksamkeit des Leistungsschutzrechts in aller Regel nicht“ beeinträchtige. Nicht nachvollziehbar ist jedoch, warum dann dort auch die Grenze gezogen werden soll.

Inwiefern wäre die Wiedergabe von 20 Wörtern, also eines Durchschnittssatzes, schädlich für die Presseverlage? Wenn die Sorge ist, dass das Lesen eines Satzes den Konsum des gesamten Artikels substituiert, ist es mit der Qualitätspresse vielleicht doch etwas weit her. Die Verlage profitieren davon, dass Nutzer durch Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren auf ihre Webseiten weitergeleitet werden. Das funktioniert umso zielgerichteter, je genauer der Inhalt der verlinkten Seite beschrieben werden kann.

Mit acht Wörtern ist das nicht möglich. Die meisten davon werden schon auf die Überschrift entfallen, falls das überhaupt ausreicht. Die generelle Freistellung von Überschriften wurde aus dem Gesetzentwurf wieder gestrichen.

Die Verlegerverbände BDZV, VDZ und VDL hatten sogar gefordert, dass „regelmäßig nicht mehr als drei Wörter“ lizenzfrei bleiben dürften. Damit verbunden ist natürlich die Hoffnung, möglichst viele kostenpflichtige Lizenzverträge zu schließen, nicht zuletzt mit Google. Ginge es den Verlagen wirklich darum, die „Ausbeutung“ ihrer Artikel zu verhindern, könnten sie dies auf technischer Ebene längst tun. Sie wollen aber bei Google aussagekräftig angezeigt und verlinkt werden, weil sie davon profitieren. Der Wunsch, dafür nun auch noch zusätzlich Geld zu erhalten, wird sich nicht erfüllen.

Rechtsunsicherheit bei Vorschaubildern & Co.

Problematisch ist ferner, dass es keine Klarstellung mehr für die lizenzfreie Wiedergabe von Grafiken, Fotografien sowie Audio- und Videosequenzen geben soll. Zwar solle auch für sie die Ausnahme für „sehr kurze Auszüge“ gelten, doch stellt sich hier ebenso wie bei Text die Frage, wo die Grenze zu ziehen ist. Von einer näheren Bestimmung habe man aber abgesehen, „weil sich technische Standards für Bilder, Grafiken und audiovisuelle Inhalte fortlaufend weiterentwickeln.“

Die Rechtsanwender und letztlich auch die Nutzer werden damit im Regen stehengelassen. Bis zu einer höchstgerichtlichen Klärung lässt sich nicht rechtssicher sagen, wie ein „sehr kurzer Auszug“ einer Fotografie auszusehen hat, die als Vorschaubild für den verlinkten Inhalt dienen soll. Darf nur ein Ausschnitt verwendet werden? Ist die Auflösung anzupassen?

Völlig unverständlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Verweis auf die Vorschaubilder-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entfernt werden soll. Darin wurde der Grundsatz von Treu und Glauben hinsichtlich des Verhaltens von Webseiten-Betreibern präzisiert: Wer es nicht nur unterlässt zu verhindern, dass Inhalte seiner Webseite von Suchmaschinen angezeigt werden, sondern sogar noch Optimierung betreibt, damit eine Anzeige erfolgt, kann keine rechtlichen Schritte einleiten, wenn es letztlich auch dazu kommt.

Warum das hier nicht gelten soll bzw. warum es keinen Hinweis mehr darauf in der Gesetzesbegründung geben soll, erschließt sich nicht. Presseverlage betreiben immensen Aufwand bei der Suchmaschinen-Optimierung und können bis ins Detail darüber entscheiden, wie die Verlinkung jedes einzelnen Artikels auszusehen hat. An dieser Stelle zeigt sich erneut überdeutlich, wie weit man bereit ist, sich dem Willen der großen Presseverlage zu beugen.

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