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Christian Kersting: „Dann hätten am Ende alle verloren”
Wenn das Leistungsschutzrecht kommt, darf Google dann Verlagsinhalte auslisten? Christian Kersting, Professor für Bürgerliches Recht, Unternehmens-, Wirtschafts- und Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sieht im IGEL-Interview hier kein Problem. Wenn Google kostenpflichtige Snippets nicht mehr anzeige, dann diskriminiere es nicht, sondern behandele Gleiches gleich.
Vera Linß: Sie haben sich in einem Gutachten mit der Frage auseinandergesetzt, ob Google für den Fall, dass ein Leistungsschutzrecht käme, gezwungen werden könnte, für die Verlinkung von Inhalten zu bezahlen. Warum haben Sie das beispielhaft an Google untersucht? Es gibt ja noch andere Suchmaschinen im Netz.
Christian Kersting: Meine Ausführungen knüpfen nicht nur deshalb beispielhaft an Google an, weil Google der Auftraggeber des Gutachtens war, sondern insbesondere auch, weil Google die meisten Nutzer hat und deshalb immer wieder als Beispiel herangezogen wird, wenn es um das Leistungsschutzrecht geht. Aufgrund des hohen Anteils an Nutzern wird häufig die Auffassung vertreten, Google sei in irgendeiner Form marktbeherrschend und damit Adressat der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht. Das ist aber sehr zweifelhaft. Im Hinblick auf die hier als relevant in Betracht kommenden Online-Märkte und die Stellung der Unternehmen dort ist noch vieles ungeklärt.
Die Kernaussage ihres Gutachtens lautet, dass Google im Falle des In-Kraft-Tretens eines Leistungsschutzrechts nicht verpflichtet wäre, auf Verlagserzeugnisse zu verlinken. Aus kartellrechtlicher Sicht wäre so eine Verpflichtung absurd. Warum wäre das absurd?
Eine solche Verpflichtung wäre deshalb absurd, weil Google kostenlos eine Leistung für Verlage und im Grunde für jeden, der im Internet präsent ist, erbringt. Es wäre doch merkwürdig, wenn Google nun verpflichtet sein soll, für die Erbringung dieser kostenlosen Leistung den Empfänger auch noch zu bezahlen. Aus kartellrechtlicher Sicht gibt es hierfür meines Erachtens keine Anspruchsgrundlage. Kartellrechtlich wird häufig gesagt, dass Google für die Verlage ganz wesentlich ist, weil die Verlage angeblich ohne Google im Netz nicht gefunden werden können. Damit wird die so genannte Essential-facilities-Doktrin angesprochen, eine Lehre, die besagt, dass derjenige, der über eine wesentliche Einrichtung verfügt, unter bestimmten Umständen dazu gezwungen werden kann, anderen hierzu Zugang zu gewähren. Das setzt allerdings zunächst voraus, dass Google wirklich so wichtig ist, dass die Verlage ohne Google im Netz nicht tätig werden könnten. Das ist aber gerade nicht zutreffend.
Die Verlage haben eine Vielzahl anderer Möglichkeiten, auf ihre Inhalte aufmerksam zu machen. Das zeigt sich u.a. daran, dass viele Nutzer gar nicht über Google auf die Verlagsseiten kommen, sondern zum Beispiel die Verlagsseite direkt in den Browser eingeben oder sie mit Hilfe anderer Suchmaschinen oder über soziale Netzwerke finden. An einen Zugangsanspruch nach den Grundsätzen der Essential-facilities-Doktrin werden von Seiten der Rechtsprechung auch durchaus strenge Anforderungen gestellt. So darf es dem zugangsbegehrenden Unternehmen etwa nicht möglich sein, sich selbst zu helfen. Die Verlage könnten aber beispielsweise Werbung für die eigenen Inhalte und Internetplattformen machen.
Es ist auch denkbar, vielleicht in Zusammenarbeit mit mehreren Verlagen, eine eigene ähnliche Einrichtung zu schaffen, über die Verlagsinhalte gesucht und gefunden werden können. Die Gerichte sind hier sehr streng. Selbst wenn diese selbst geschaffenen Einrichtungen nicht ähnlich effektiv wären wie Google, würde das noch nicht bedeuten, dass die Verlage auf Google zugreifen könnten. Und ganz wichtig ist: Die „Essential-facilities-Doktrin” setzt voraus, dass derjenige, der Zugang begehrt, also hier die Verlage, bereit ist, die andere Seite, sprich Google, zu bezahlen. Dazu sind die Verlage aber gerade nicht bereit. Die Verlage wollen vielmehr, gerade umgekehrt, von Google bezahlt werden. Das ist eine völlig schiefe Herangehensweise.
Sie sagten, dass Google keine marktbeherrschende Stellung einnimmt. Aber in der individuellen Wahrnehmung tut es das ja schon. Rund 38 Millionen Nutzer in Deutschland suchen Inhalte mithilfe von Google. Ist das nicht marktbeherrschend?
In der Tat mögen die hohen Nutzeranteile Googles zunächst dazu verleiten, eine marktbeherrschende Stellung im Bereich der Internetsuche anzunehmen. Bei der Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens stellen die Marktanteile dieses Unternehmens zwar einen bedeutsamen, aber auch nur einen von mehreren zu berücksichtigenden Umständen dar. Gerade im Bereich der Internetsuche liegt aber eine Vielzahl besonderer Umstände vor, die gerade gegen die Annahme einer marktbeherrschenden Stellung sprechen.
Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob wir überhaupt einen kartellrechtlich relevanten Markt haben. Denn Google nimmt von den Nutzern kein Geld. Google ist auch nicht bereit, sich den Nutzern gegenüber zu irgendetwas zu verpflichten, sondern macht potentiellen Nutzern ein unentgeltliches und unverbindliches Angebot. Da ist schon fraglich, ob wir aus juristischer Sicht überhaupt einen Markt haben, der beherrscht werden kann. Das ist auch bislang in der Praxis des Bundeskartellamts und der europäischen Kommission als problematisch angesehen worden. Festzuhalten ist daher nicht nur, dass die Existenz des Marktes als solche fraglich ist, sondern auch, dass selbst hohe Nutzerzahlen nicht zwingend zur Annahme von Marktbeherrschung führen, sondern allenfalls ein Indiz hierfür sein können.
Selbst wenn man aber annehmen wollte, es gäbe einen solchen Markt für die Internetsuche, so ist deswegen noch nicht von einer Marktbeherrschung durch Google auszugehen. Hiergegen spricht, dass die Nutzer des Angebots von Google in keiner Weise an Google gebunden sind. Vielmehr können die Nutzer auf einfachste Weise und völlig problemlos zu anderen Anbietern wechseln. Der Wettbewerb ist sozusagen immer nur einen Mausklick entfernt. Beispielsweise kann ich meinen Mozilla-Browser mit einem Klick so einstellen, dass Eingaben in dem Suchfeld nicht mehr zu einer Google-Suche, sondern zu einer Suche über Yahoo oder Bing führen und bin dann sofort bei einem anderen Anbieter. Selbstverständlich ist es auch völlig problemlos möglich, die Homepage und Suchmaske anderer Suchmaschinen direkt aufzurufen und zu nutzen. Es gibt dabei auch keine Wechselkosten für die Nutzer; diese müssen weder bezahlen noch müssen sie sich auf irgendetwas Neues einstellen. Sie klicken nur ein- oder zweimal und suchen dann ganz einfach über eine andere Suchmaschine.
Vor diesem Hintergrund kann man schon die Frage stellen, ob Google überhaupt in der Lage ist, sich unabhängig von seinen Wettbewerbern zu verhalten, ob Google also einen Verhaltensspielraum hat, der nicht sofort durch den Wettbewerb kontrolliert wird. Es gibt also in der Tat gute Argumente, die trotz der hohen Nutzerzahlen gegen eine marktbeherrschende Stellung Googles sprechen.
Aber andere erbringen nicht die Leistung, die Google bietet.
Ja, selbstverständlich. Jeder Anbieter verwendet einen anderen Suchalgorithmus, das ist richtig. Aber natürlich hat auch jeder Bäcker anderes Brot im Angebot. Alleine hieraus oder aus der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Anbieter lässt sich aber noch kein Gegenargument ableiten. Aus kartellrechtlicher Perspektive ist allein entscheidend, dass die Leistungen der Unternehmen aus Sicht der Marktgegenseite austauschbar sind. Dies wird man im Fall der Leistungen der verschiedenen Suchmaschinenanbieter nicht bestreiten können. Man wird deshalb sehr wohl annehmen müssen, dass Yahoo, Bing und Google alle auf demselben Markt tätig sind – genauso wie Bäcker trotz unterschiedlicher Sortimente auf demselben Markt tätig sind.
Der Bäckervergleich ist ja immer schwierig, weil es in den Medien um Meinungsbildung geht. Da hat eine vermutete Marktbeherrschung immer noch andere Konsequenzen als in einer Bäckerei.
Ja, allerdings geht es bei den Suchmaschinen weniger um Meinungsmacht oder Meinungsbildung. Google verschafft nur den Zugang zu Informationen und Meinungen. Deswegen würde ich keine strengeren Maßstäbe anlegen wollen. Weil Google den Zugang zu Informationen vermittelt, ist Google sicher wichtig für die Meinungsfreiheit und es wäre bedauerlich, wenn Google seiner Vermittlungsfunktion beraubt würde. Dennoch führt dies jetzt nicht dazu, dass man Google stärker kontrollieren müsste. Die Informationsversorgung über Printmedien, Radio, Fernsehen, Internet ist in Deutschland so vielfältig, dass man keinesfalls sagen kann, dass Google den Zugang zu Informationen und Meinungen kontrollieren würde. Erst recht kontrolliert Google nicht die Informationen oder Meinungen selbst.
Sie sagten, möglicherweise hätte Google eine Beherrschung auf anderen Märkten. Was könnte das sein?
Damit wollte ich nicht sagen, dass Google tatsächlich andere Märkte beherrscht. Ich wollte nur sagen, dass andere Märkte als möglicherweise beherrschte Märkte in Betracht gezogen werden könnten. Man könnte hier beispielsweise an den Werbemarkt denken. Meines Erachtens ist dieser jedoch für die von uns diskutierte kartellrechtliche Fragestellung nicht relevant. Den Verlagen geht es darum, in den Index Googles aufgenommen zu werden, damit ihre Inhalte – bei entsprechenden Suchanfragen – von den Nutzern gefunden werden können. Dieses Interesse der Verlage wird durch Maßnahmen auf dem Werbemarkt jedoch nicht tangiert.
Kommen wir zurück zum Leistungsschutzrecht. Eine Weigerung Googles, lizenzpflichtige Suchergebnisse anzuzeigen, wäre aus Ihrer Sicht keine Diskriminierung der Zeitungen?
Nein, das wäre keine Diskriminierung, weil Google alle gleich behandelt. Sobald eine Verlinkung etwas kostet, zeigt Google diese Verlinkung nicht mehr an. Da werden alle gleich behandelt. Hier ist überhaupt keine Diskriminierung zu erkennen.
Sie sind in Ihrem Gutachten auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die Nichtanzeige der Suchergebnisse für Google den einzig sicheren Weg darstellen würde, sich rechtstreu zu verhalten, käme es zu einem Leistungsschutzrecht.
Ja, das ist richtig. Für den Fall, dass ein Leistungsschutzrecht kommt, braucht Google die Erlaubnis der Verlage, um zum Beispiel Snippets anzeigen zu können. Und wenn die Verlage diese Erlaubnis verweigern, dann darf Google die Snippets nicht anzeigen. Der einzige Weg, sich dann rechtstreu zu verhalten, ist eben, sie nicht anzuzeigen. Das haben sich die Verlage dann im Grunde selbst zuzuschreiben. Wenn sie etwas verbieten, können sie sich nicht darüber beschweren, dass eine Suchmaschine diesem Verbot Folge leistet.
Es gibt noch einen anderen Begriff, den Sie in Ihrem Gutachten erwähnt haben: Den Ausbeutungsmissbrauch. Sie schreiben, wenn man auch in Zukunft eine unentgeltliche Auflistung macht, dann wäre das kein Ausbeutungsmissbrauch. Was genau bedeutet das?
Seitens der Verlage ist die folgende – etwas komplizierte – Argumentationslinie denkbar. Die Verlage könnten versuchen zu argumentieren: „Wir sind auf Google angewiesen, deshalb muss Google unsere Inhalte indexieren und damit auffindbar machen. Google benötigt dafür eine Lizenz, die wir Google gerne einräumen. Allerdings nicht kostenlos. Ein Verlangen Googles nach einer kostenlosen Lizenz wäre Ausbeutung.“ Diese Argumentation geht freilich in mehrfacher Hinsicht fehl.
Sie ist schon deswegen problematisch, weil dadurch durch die Hintertür eine Bezugsverpflichtung eingeführt würde. Google wäre gezwungen, bei den Verlagen Lizenzen zu erwerben. Eine solche „umgekehrte Zwangslizenz“ kennt das Kartellrecht eigentlich nicht. Es kommt zwar schon einmal vor, dass jemand verpflichtet ist, eine Lizenz zu erteilen, weil der Lizenznehmer auf die Lizenz angewiesen ist. Der umgekehrte Fall, dass der Lizenzgeber entgeltliche Lizenzen erteilen möchte und deswegen der potentielle Lizenznehmer verpflichtet ist, Lizenzen zu erwerben, ist hingegen gerade nicht anerkannt. Wir sind schließlich auch nicht verpflichtet, die Brötchen zu kaufen, die der Bäcker gebacken hat; und sei er noch so sehr auf unseren Einkauf angewiesen.
Selbst wenn man sich aber einen solchen Fall theoretisch vorstellen wollte, so muss man sich dann allerdings weiterhin überlegen, worin die Ausbeutung bestehen soll. Ausbeutung kann vorliegen, wenn auf einem Vergleichsmarkt deutlich niedrigere oder höhere Preise gelten. Solche Vergleichsmärkte gibt es hier aber nicht. Der einzig denkbare Ansatzpunkt wäre, zu argumentieren, dass die von Google gezahlte Vergütung in keinem Verhältnis zum Wert der erhaltenen Gegenleistung steht. Aber auch das ist hier nicht zutreffend: Denn was bekommt Google von den Verlagen? Google erhält das Recht, für die Verlage etwas Gutes zu tun, nämlich deren Inhalte zu indexieren und bei entsprechenden Suchanfragen anzuzeigen. Davon hat Google selbst kaum etwas. Google kann diese Verlagsinhalte nach eigener Aussage selbst kaum monetarisieren.
Man würde also Google im Grunde dazu zwingen, für etwas zu bezahlen, was Google selbst gar nicht benötigt. In einem solchen Fall eine Ausbeutung festzustellen, ist schon sehr schwierig; meines Erachtens sogar praktisch unmöglich. Hinzu kommt, dass man auch zeigen müsste, dass dieses Wertverhältnis von Vergütung und erhaltener Leistung völlig außerhalb des Angemessenen liegt. Es liegt ja in der Natur von Verträgen, dass beide Seiten etwas davon haben, dass beide Seiten subjektiv der Auffassung sind, mehr erhalten als gegeben zu haben.
Möglicherweise lässt sich sogar umgekehrt sagen, dass es die Verlage sind, die versuchen, Google auszubeuten. Wenn es den Verlagen nämlich gelingt, Google eine kostenpflichtige Leistung, nämlich eine Lizenz, aufzudrängen, ohne dass diese Leistung für Google werthaltig ist, dann liegt die Ausbeutung vielleicht gerade hierin.
Wenn jetzt ein Leistungsschutzrecht käme, wie würden sie die Wirkung einschätzen? Würde es eher schaden oder eher nutzen oder gar nichts von beidem?
Aus kartellrechtlicher Sicht kann ich nur sagen: Sollte ein Leistungsschutzrecht kommen, wäre es unproblematisch, wenn Google die Verlage auslistet, sprich nicht mehr indexiert, und damit die Verlagsinhalte nicht mehr im Netz auffindbar macht.
Aber dann hätten am Ende ja alle verloren?
Dann hätten am Ende alle verloren. Google vielleicht am wenigsten, weil Google die Verlagsinhalte kaum monetarisieren kann und insofern lediglich einen Service für die Nutzer nicht mehr anbieten würde. Aber in jedem Fall hätten die Verlage verloren, hätten die Nutzer verloren, hätten wir im Grunde alle verloren, weil wir nicht mehr auf gleiche Weise den Zugang zu den Informationen bekommen. Es ist schließlich auch durchaus naheliegend, dass sich nicht nur Google verweigert und kostenpflichtige Verlagsinhalte nicht mehr zugänglich macht, sondern dass andere Suchmaschinen das ebenfalls tun. Dann hätten wir ein anderes Internet. Das Leistungsschutzrecht ist schädlich und in keiner Weise sinnvoll.
Christian Kersting und Sebastian Dworschak haben in der Neuen Zeitschrift für Kartellrecht den Aufsatz „Leistungsschutzrecht für Presseverlage: Müsste Google wirklich zahlen? – eine kartellrechtliche Analyse” (online bei SSRN) veröffentlicht. Er beruht auf einem Rechtsgutachten im Auftrag von Google.
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