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Gerald Spindler: Ein Leistungsschutzrecht könnte verfassungswidrig sein
Gerald Spindler, Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Göttingen, argumentiert im IGEL-Interview: Wer Inhalte ins Netz stellt, willigt der Rechtsprechung nach in die Nutzung durch Dritte ein; Urheber gehen dabei bislang leer aus – eine Entschädigung allein für Verleger würde den Gleichheitsgrundsatz verletzen.
Philip Banse: Sie sagen, das Leistungsschutzrecht für Presseverleger könnte verfassungswidrig sein. Warum?
Foto: privat
Gerald Spindler: Ein Leistungsschutzrecht ist ja verbunden mit einer Abgabe und zwar auch dann, wenn sich der Leistungsschutzberechtigte selber im Internet nicht schützt. Bekanntestes Beispiel ist etwa die Verwendung von Nachrichten aus Verlagen bei Google News. In diesem Fall soll dann ja zu Gunsten der Verleger das Leistungsschutzrecht greifen und eine Abgabe fällig sein, die dann über eine Verwertungsgesellschaft oder wie auch immer eingezogen wird.
Auf der anderen Seite haben wir eine sich verfestigende Rechtsprechung, die davon ausgeht: Wenn nicht ein Verlag, sondern ein Urheber Inhalte ins Netz stellt, willigt er konkludent ein, dass jeder diese Inhalte für die typischen Verwendungsformen im Internet nutzen kann.
Was heißt denn konkludente Einwilligung?
Das heißt: Wenn ich etwas ins Netz stelle, muss ich damit rechnen, dass meine Inhalte von anderen benutzt werden, etwa von Suchmaschinen. Das hat auch der Bundesgerichtshof entschieden: Ohne diese konkludente Einwilligung der Urheber wäre die Bildersuchmaschine von Google beispielsweise rechtswidrig. Ob für diese Nutzung eine Abgabe fällig wird, ist strittig. Die meisten und wohl auch der Europäische Gerichtshof gehen davon aus, dass für diese Nutzung keine Abgabe erforderlich ist.
Das heißt also: Der Urheber, der seine Inhalte ins Netz stellt, willigt in deren kostenlose Nutzung ein. Wenn aber Verlage genau das gleiche tun, würden sie eine Abgabe dafür erhalten. Das aber würde bedeuten: Wir haben den von der Verfassung stark geschützten Urheber, der nichts bekommt, wenn er seine Werke ins Netz stellt. Und wir haben den Leistungsschutzberechtigten mit einem geringeren Recht, der jedoch eine Entschädigung bekommt. Und das verstößt meiner Meinung nach gegen Artikel 3 Grundgesetz, den Gleichheitsgrundsatz.
Welche Rolle spielt es rechtlich, dass die Verlage den kostenlosen Zugriff auf ihre Inhalte – etwa durch Google – mit sehr einfachen Mitteln verhindern könnten?
Das spielt für eine konkludente Einwilligung eine sehr große Rolle. Das hat der Bundesgerichtshof im Paperboy-Fall ebenso wie in der Bildersuchmaschinen-Entscheidung ausdrücklich entschieden. Die These der gesamten Rechtsprechung ist bis heute: Die konkludente Einwilligung zur Nutzung wird daraus abgeleitet, dass der Zugriff durch Dritte leicht verhindert werden kann. Das geplante Leistungsschutzrecht würde dieser Rechtsprechung nicht entsprechen. Denn ich hätte einen staatlich garantierten Schutz – egal, ob mich auch selber schützen könnte.
Christoph Keese, der Chef-Lobbyist des Springer-Verlags, argumentiert: „Das Netz quillt über mit Informationen – wir organisieren die Rangreihenfolge. Das ist die Leistung, die wir bringen.” Welche Rolle spielt die Schöpfungshöhe dieser Leistung für den Anspruch auf ein Leistungsschutzrecht?
Keine sehr große. Man kann ohne weiteres ein Leistungsschutzrecht auch schlicht für wesentliche Investitionen gewähren. Das zeigt die Datenbankrichtlinie. Da basiert das Leistungsschutzrecht allein darauf, dass jemand eine wesentliche Investition getätigt hat. Ob das sinnvoll ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die EU-Kommission sieht das mittlerweile sehr kritisch.
Müssen die Verlage denn geschützt werden, sei es wegen ihrer Investitionen oder ihrer Leistung?
Ich denke nein. Die Verlage können sich im Netz ohne weiteres selber schützen – letztlich besser als Private, denen ein solcher Selbstschutz von der Rechtsprechung abverlangt wird. Die Verlage können ihre Inhalte auch im Netz verkaufen, das ist kein Thema. In einer liberalen und marktwirtschaftlich geprägten Ordnung sehe ich keine Notwendigkeit, ein solches Recht einzuführen.
Wie ließe sich ein Leistungsschutzrecht verfassungskonform gestalten?
Urheber und Verlage müssen gleich behandelt werden: Entweder bekommen beide eine Entschädigung, wenn sie Inhalte ins Netz stellen, oder keiner.
Die Verlage argumentieren, die Autoren würden einen Teil des Geldes abbekommen, das durch das Leistungsschutzrecht eingenommen würde. Ist die Gleichberechtigung damit hergestellt?
Nein, denn da geht es nur um Inhalte, die das Leistungsschutzrecht betreffen. Aber wenn sie selber ohne Verlag einen Inhalt ins Internet stellen, würden sie auch mit einem Leistungsschutzrecht für Verleger keinen Cent bekommen.
Es gibt ja bereits viele, die ein Leistungsschutzrecht haben. Musik-Verlage etwa oder Studiomusiker.
Das ist dasselbe Problem. Wenn ich als Urheber Musik ins Internet stelle, wird mir gesagt: Du hast konkludent eingewilligt, deshalb bekommst Du keinen Cent. Labels dagegen oder Musiker, die einen Song eingespielt haben, sind Leistungsschutzberechtigte; die Lage ist hier genauso wie für die Urheber, die offenen Fragen sind dieselben. Die Situation wäre dann so, dass allein die Verleger einen gesonderten Anspruch auf eine Vergütung hätten, für alle anderen aber eine klare Regelung fehlt. Das verstieße ebenso gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes.
Würden Sie sagen, dass ein Leistungsschutzrecht an sich – egal, ob für Presseverlage oder für Studiomusiker – verfassungswidrig ist?
Nein! Es müssen nur alle gleich behandelt werden.
Wäre die Kulturflatrate ein Ausweg?
Das wäre eine Lösung, auch wenn sie sich derzeit europarechtlich kaum umsetzen lässt. Im Prinzip aber halte ich von einer Kulturflatrate sehr viel – jedoch nur, wenn Urheber und Werkmittler gleich behandelt werden. Das derzeit geplante Leistungsschutzrecht ist jedoch eine Kulturflatrate allein für Verlage.
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