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Thomas Hoeren: Leistungsschutzrecht würde Notifizierungspflicht verletzen
Thomas Hoeren, Professor für Rechtswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sagt im IGEL-Interview: Die geplante Einführung des Leistungsschutzrecht verletzt Notifizierungspflichten und schafft ein Sondermodell, das mit anderen EU-Staaten abgestimmt werden müsste.
Philipp Otto: In Ihrem Gutachten für Facebook schreiben Sie, das Leistungsschutzrecht verletze europarechtliche Verfahrensregeln, die sogenannte Notifizierungspflicht. Was ist diese Regelung und was sieht diese vor?
Thomas Hoeren: Durch die Richtlinie 98/48/EG zur Einführung einer gesetzgeberischen Transparenz für die Dienste der Informationsgesellschaft gilt seit 1999 auch in diesem Bereich das schon zuvor auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften anzuwendende Informationsverfahren bei nationalen Gesetzgebungsvorhaben, um auch hier einen stabilen, transparenten und innerhalb des Binnenmarktes kohärenten Rechtsrahmen zu gewährleisten.
Das Verfahren soll eine Koordinierung auf Gemeinschaftsebene sicherstellen und eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit durch Zersplitterung,Überregulierung und rechtliche Inkohärenzen durch innerstaatliche Einzelregelungen verhindern helfen. Die Mitgliedstaaten müssen deshalb Gesetzgebungsvorhaben auf diesem Gebiet im Entwurfsstadium notifizieren und der Kommission und anderen Mitgliedstaaten Gelegenheit zu Bemerkungen oder ausführlichen Stellungnahmen geben, weshalb ihnen eine Stillhaltepflicht während der Durchführung des Verfahrens auferlegt wird.
Die Notifizierungspflicht der Richtlinie betrifft nicht schlechthin alle nationalen Regelungen, die die Dienste der Informationsgesellschaft in irgendeiner Weise berühren, sondern gilt lediglich für eine bestimmte Kategorie nationaler Maßnahmen, nämlich diejenigen nationalen Vorschriften, die speziell auf die Dienste der Informationsgesellschaft abzielen.
Fällt das in Deutschland geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage auch darunter? Wäre also eine Notifizierung zwingend erforderlich?
Ja. Die geplanten deutschen Regelungen schaffen einen nationalen Sonderweg, der Suchmaschinenbetreiber und Social-Media-Dienste zentral und speziell anspricht und adressiert. Die Auswirkungen dieses Sondermodells auf das EU-Recht sind ebenso nachhaltig, so dass hier auch inhaltlich die anderen Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission einbezogen werden müßte.
Was würde es bedeuten, wenn man es nicht macht?
Nach einer Notifizierung besteht abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen eine Stillhaltpflicht von drei Monaten, so dass die Vorschrift auf nationaler Ebene während dieser Frist nicht endgültig verabschiedet werden kann. Gibt die Kommission oder ein Mitgliedstaat innerhalb der Frist eine ausführliche Stellungnahme ab, weil die geplante Maßnahme ihrer Ansicht nach Hindernisse für die Niederlassungsfreiheit oder den freien Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt schaffen kann, wird die Stillhaltefrist um einen weiteren Monat verlängert.
Kommt ein Mitgliedstaat seiner Verpflichtung nicht nach, eine Vorschrift über Dienste der Informationsgesellschaft im Entwurfsstadium zu notifizieren, so zieht dies nach Maßgabe der Rechtsprechung die Unanwendbarkeit der jeweiligen Vorschrift auf einzelne nach sich. Die Missachtung der Notifizierungspflicht stellt einen groben Formfehler dar, da diese als ein wichtiges Mittel der Kontrolle dem Ziel dient, die Verwirklichung des Schutzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der Dienste in der Informationsgesellschaft zu gewährleisten.
Welche Folgen hätte das in der Praxis für das aktuelle Gesetzgebungsverfahren in Deutschland?
Die Notifizierung ist zwingend. Der deutsche Gesetzgeber muss das Notifizierungsverfahren einleiten und darf den Gesetzesentwurf vor Ablauf von zumindest drei Monaten nach Notifizierung nicht verabschieden. Das Gesetzgebungsverfahren muss in der Zwischenzeit ausgesetzt werden.
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