Am 20. September 2016 - 17:28 Uhr von Tom Hirche

Lügen > Argumente

Publikationsdatum 20.09.2016 ~ Art des Materials: Akteure: Schlagworte: Soziales System: Lizenz: 

Die EU-Kommission hat vor wenigen Tagen ihren Entwurf einer neuen Urheberrechtsrichtlinie veröffentlicht. Darin enthalten ist unter anderem ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Die „Lügen fürs Leistungsschutzrecht“ haben jetzt also wieder Hochsaison, wie Hans-Peter Siebenhaar im Handelsblatt veranschaulicht.

„[D]as Gleichgewicht zwischen den Produzenten von Nachrichten und den Internetkonzernen mit ihren Vertriebsplattformen ist seit langem gestört“, wird dort behauptet. Auf dem Weg zu fairen Rahmenbedingungen für Medienunternehmen sei das deutsche Leistungsschutzrecht nur ein kleiner Schritt gewesen. Dass es tatsächlich völlig gescheitert ist, wie es stets von allen Experten vorhergesagt wurde, wird allerdings verschwiegen. Dieses Gesetz ist nicht nur „auf Dauer keine Lösung“ – es war von Anfang an keine und wird auch keine, wenn man es auf europäischer Ebene versucht.

Zu begrüßen ist der Hinweis auf die spärlichen Einnahmen aus dem Leistungsschutzrecht, da das nicht oft genug betont werden kann. Unklar ist jedoch, warum von „Insidern in Berlin“ erzählt wird, denen zufolge „die Einnahmen unter eine Million Euro liegen sollen.“ Das Leistungsschutzrecht muss entmystifiziert werden. Zu viele Lügen und Gerüchte ranken sich darum. Laut eigener, öffentlich zugänglicher Aussage hat die VG Media bis zum Sommer diesen Jahres 714.540 € eingenommen. Eine kleine Zahl in Anbetracht der ihr gegenüberstehenden Kosten in Höhe von 3,3 Millionen Euro für juristische Auseinandersetzungen allein in 2015. Die Verlage zahlen also gehörig drauf und werden das auch angesichts der laufenden Gerichtsverfahren weiter tun. Ein schnelles Ende ist nicht in Sicht.

Anschließend wird das Verhältnis zwischen Verlagen und Internetkonzernen dargestellt:

Verlage und Internetgiganten wie Google, Facebook & Co. leben in einer Art Symbiose. Die Zeitungen und Zeitschriften brauchen die Reichweite und die Onlineanzeigen für ihr digitales Geschäftsmodell, und Google, Facebook & Co. brauchen den Content für die Attraktivität ihrer Plattform.

Manche würden das als Win-Win-Situation bezeichnen, nicht jedoch das Handelsblatt. Für die Zeitschrift ist das nämlich nur die Theorie, denn:

In der Praxis herrscht ein wirtschaftliches Ungleichgewicht der Sonderklasse. Während Google – auch mit den kostenlosen Inhalten anderer – zum wertvollsten Unternehmen der Welt aufgestiegen ist und selbst Ölgiganten wie Exxon weit hinter sich gelassen hat, kämpfen die Verlage gegen Umsatz- und Gewinnrückgang.

Ein „wirtschaftliches Ungleichgewischt“ allein rechtfertigt noch längst keinen staatlichen Eingriff in Form eines Leistungsschutzrechts. Nur weil die einen besser wirtschaften, heißt das nicht, dass man davon etwas abbekommen muss. Das Verhältnis von Verlagen einerseits und Suchmaschinenanbieter bzw. Newsaggregatoren andererseits ist tatsächlich eine Symbiose. Warum das nur „Theorie“ sein soll, bleibt rätselhaft. Die Verlage wollen bei den Anbietern mit Snippet gelistet sein, ansonsten würden sie das per robots.txt einfach verhindern. Als Gegenleistung werden interessierte Nutzer zum Volltext weitergeleitet. Im Gegensatz zu den werbefinanzierten Verlagsseiten verdient der Anbieter an dieser Leistung unmittelbar nichts. Google jedenfalls ist ganz sicher nicht mit den freiwillig (!) kostenlos bereit gestellten Snippets der deutschen Verlage zu einem milliardenschweren Unternehmen geworden. In Spanien hat man sogar lieber Google News Spain geschlossen, als für Snippets zu bezahlen.

Das Handelsblatt hinterfragt überhaupt nicht, wie es dazu gekommen ist, dass Verlage gegen Umsatz- und Gewinnrückgang kämpfen. Es wird nur neidisch auf das viele Geld geschaut, von dem man etwas abhaben will wie ein bockiges Kind. Eine wirkliche Begründung bleibt man schuldig. Nach dessen Logik müsste auch Exxon an die Verlage zahlen, wenn mal wieder über den Ölkonzern berichtet wird. Schließlich würde der ja auch von dieser kostenlos im Internet angebotenen Leistung profitieren (Marketing), erbringt dafür noch nicht einmal eine Gegenleistung und hat ganz, ganz viel Geld.

Die Pläne der EU-Kommission, europaweit ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger einzuführen, werden selbstverständlich begrüßt. Endlich würden die Internetkonzerne zur Kasse gebeten, „damit sie einen fairen Anteil ihrer Erlöse an die Zeitungsverlage zurückgeben.“ Dass der Vorschlag mangels Einschränkungen unüberschaubar weit gefasst ist und ausschließlich die Interessen der Verleger und überhaupt nicht die der Bürgerinnen und Bürger im Blick hat, wird nicht erwähnt.

Schließlich greift das Handelsblatt ein weiteres Scheinargument auf: Die Musik- und Filmindustrie hätten die „digitale Disruption“ so gut überstanden, weil sie eigene Leistungsschutzrechte haben. Das ist jedoch nicht der Fall. Stattdessen erkannte man nach langer Zeit, dass man das Geschäftsmodell ändern musste. Statt weiter auf CD-Verkäufe zu setzen, ist man mit der Digitalisierung gegangen und hat den Streaming-Markt für sich entdeckt. Das war der entscheidende Faktor, nicht das Innehaben eines Leistungsschutzrechts. Rechte allein bringen kein Geld. Das haben einige Verlage offensichtlich immer noch nicht verstanden. Man hat die Digitalisierung verschlafen und ruft nun nach der Politik. Dabei brauchen die Verlage gar keine weiteren Rechte, um moderne Geschäftsmodelle abzusichern, da sie sich alle Rechte von den Autoren übertragen lassen. Gegen Urheberrechtsverletzungen können sie also vorgehen.

Die Leistung der Presseverlage ist es jedoch, einen Text auf eine Webseite zu stellen. Dadurch entsteht nichts Neues. Der Text bleibt derselbe Text. Trotzdem erstreckt sich das Leistungsschutzrecht für Presseverleger darauf. Die Urheberrechte der Autoren werden dadurch überlagert – ein Umstand, der auf die anderen Leistungsschutzrechte nicht zutrifft und somit einmalig ist. Ein zusätzlicher Schutz der Verlage ist aber gar nicht notwendig, da sie sich die Rechte der Autoren abtreten lassen. „Google, Facebook & Co.“ kopieren auch keine Inhalte. Sie zeigen neben dem blanken Link höchstens die ersten Worte an. Das ist urheberrechtlich unstreitig zulässig. Wenn das aber bereits geeignet ist, das Informationsinteresse der Nutzer zu befriedigen, sodass diese nicht mehr auf die Verlagsseiten wollen, dann hat der „Qualitätsjournalismus“ ein ganz anderes und vor allem internes Problem.

Die EU-Mitgliedsstaaten sowie das Europäische Parlament als „zwei große Hürden“. Hoffen wir, dass sie groß genug sind, um ein europäisches Leistungsschutzrecht für Presseverleger zu verhindern.

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