Kabinett beschließt Regierungsentwurf – Presseverlage setzen sich durch

Am 3. Februar 2021 - 15:21 Uhr von Tom Hirche

Mehrfach wurde der Kabinettbeschluss zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie verschoben. Heute war es so weit. Die lobbystarken Presseverleger haben sich mit ihren Forderungen klar durchgesetzt.

Zäher Gang und fehlende Kompromissbereitschaft

Bereits im Januar 2020 wagte sich das Bundesjustizministerium (BMJV) unter Leitung von Christine Lambrecht (SPD) mit einem Diskussionsentwurf aus der Deckung. Im April folgte der erste Referentenentwurf, im Oktober offiziell der zweite Referentenentwurf. Seitdem war es nach außen hin ruhig. Ursprünglich wollte das Kabinett bereits im Dezember seinen Regierungsentwurf in den Bundestag einbringen. Der Beschluss wurde jedoch mehrfach kurzfristig verschoben.

Der Grund: Intern stießen die Vorschläge aus dem BMJV auf heftigen Gegenwind. Dieser wehte vor allem aus dem Bundeskanzleramt (BKAmt) sowie dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) – beide CDU-geführt. Streitthema war insbesondere das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Dessen Einführung sieht Artikel 15 der DSM-Richtlinie zwingend vor. Wie genau die Vorgaben umzusetzen sind, darüber ist man sich jedoch uneins. Die CDU-Ministerien zogen in ihren Stellungnahmen gar „rote Linien, ohne deren Einhaltung der Widerspruch [...] nicht aufgehoben wird.“ Bedauerlicherweise hat das BMJV fast vollständig dem Druck nachgegeben.

Kleines Wort, große Wirkung

Nach den bisherigen Entwürfen des BMJV sollten Vervielfältigungen von Presseerzeugnissen nur unter das Leistungsschutzrecht fallen, wenn sie der öffentlichen Zugänglichmachung dienen. Das automatisierte Durchsuchen und Indizieren von Presseerzeugnissen würde demnach nur insoweit dem Leistungsschutzrecht unterfallen, als die dabei erzeugten Kopien im Anschluss auch tatsächlich veröffentlicht werden.

Der entsprechende Regelungsvorschlag lautete: „Ein Presseverleger hat das ausschließliche Recht, seine Presseveröffentlichung im Ganzen oder in Teilen für die Online-Nutzung durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft öffentlich zugänglich zu machen und hierzu zu vervielfältigen.“

Das BKAmt forderte, das Wort „hierzu“ zu streichen, und setzte sich durch. Die Vervielfältigung unterfällt damit dem Leistungsschutzrecht unabhängig davon, zu welchem Zweck sie vorgenommen wurde. Sie muss nicht erfolgen, um das Presseerzeugnis oder einen Teil davon öffentlich zugänglich zu machen. Selbst Vervielfältigungshandlungen im Rahmen einer Online-Nutzung, die intern bleiben, werden nun zustimmungsbedürftig. Die Begründung des Regierungsentwurfs nennt beispielhaft das „Versenden von E-Mail-Newslettern mit Inhalten aus Presseveröffentlichungen an einzelne Nutzer“. (S. 130)

Offensichtlich ist man sich bewusst, dass diese Ausweitung bedenklich ist. Anders lässt sich nicht erklären, dass die Begründung des Kabinettbeschlusses eine Klarstellung trifft: „Nicht vom Leistungsschutzrecht erfasst sind daher insbesondere interne Vervielfältigungshandlungen, die die Funktionsfähigkeit von Suchmaschinen im Internet sicherstellen, d.h. die technisch notwendige Vervielfältigung einer Webseite oder eines Dokuments zur Aufnahme in den Index einer Suchmaschine (Cache). Bei derartigen rein internen Vervielfältigungen handelt es sich nicht um eine vom Leistungsschutzrecht erfasste Online-Nutzung der Presseveröffentlichung.“ (S. 131)

Unklar ist, ob dies zur Eingrenzung ausreicht. Die Begründung zu einem Gesetz kann zwar eine Auslegungshilfe sein, erzeugt aber keine Bindungswirkung für die Gerichte. Eine Klarstellung direkt im Gesetz – etwa durch Ergänzung von "hierzu" – wäre wünschenswert.

Zurück zur Rechtsunsicherheit

Artikel 15 der DSM-Richtlinie bestimmt, dass „die Nutzung einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge aus einer Presseveröffentlichung“ vom Leistungsschutzrecht der Presseverleger ausgenommen ist. Eine solche Bagatellnutzung soll erlaubnis- und damit kostenfrei möglich sein. Doch welchen Umfang haben einzelne Wörter oder sehr kurze Auszüge? Eine Klarstellung fehlt.

Dies weckt Erinnerungen an die deutsche Regelung zum Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Sie wurde am 1. August 2013 eingeführt, jedoch am 12. September 2019 vom Europäischen Gerichtshof wegen formaler Mängel (rückwirkend) für unwirksam erklärt. Auch dort fand sich – ohne klarstellende Hinweise – eine Ausnahme für „einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“. Die Folge war immense Rechtsunsicherheit. Anbieter beschränkten ihre Dienste oder stellten sie gänzlich ein. Zwischen Google und den Presseverlagen entbrannte ein ebenso langjähriger wie kostspieliger Rechtsstreit, der zu keiner Klärung führte.

Das BMJV wollte denselben Fehler kein zweites Mal begehen. Im Diskussionsentwurf schlug es deshalb vor, konkrete Beispiele für eine erlaubnisfreie Nutzung aufzunehmen: „die Überschrift, ein kleinformatiges Vorschaubild mit einer Auflösung von bis zu 128 mal 128 Pixeln und eine Tonfolge, Bildfolge oder Bild- und Tonfolge mit einer Dauer von bis zu drei Sekunden.“ Presseerzeugnisse bestehen nicht nur aus Text, sondern können auch Bilder, Videos oder Tonaufzeichnungen enthalten. Die Beispiele hätten jeweils die unterste Grenze der Ausnahme definiert, ohne im Einzelfall darauf beschränkt zu sein. Zudem hätten sich diese Vorgaben problemlos in Algorithmen gießen lassen.

Doch davon war bereits im ersten Referentenentwurf nichts mehr übrig. Die Beispiele wurden gestrichen. Das BMJV schlug stattdessen vor, dass „in der Regel nicht mehr als acht Wörter“ erlaubnisfrei zulässig seien. Diese Klarstellung hätte nur bedingt weitergeholfen, denn sie enthält keinen Hinweis, unter welchen Voraussetzungen ein Regelfall vorliegt. Klar wäre allein gewesen, dass die Grenze von acht Wörtern nur in besonders gelagerten Fällen hätte überschritten werden dürfen.

Den Verlegerverbänden BDZV, VDZ und VDL war sogar das noch zu viel. Sie forderten eine Obergrenze von lediglich drei Wörtern. Unterstützt wurden sie vom BKAmt und BMWi, die eine ihrer roten Linien zogen. Sie verlangten, die Klarstellung vollständig zu streichen, denn sie „schränkt die Rechte der Presseverleger zu weitgehend ein“. Das BMJV gab dem Druck nach. Bereits der zweite Referentenentwurf enthielt keine klarstellenden Hinweise mehr.

Der Regierungsentwurf tut es ihm nun gleich. Damit ist Rechtsunsicherheit vorprogrammiert. Sehenden Auges steuern wir auf genau dieselbe Situation zu, wie wir sie unter Geltung des deutschen Presseleistungsschutzrechts bereits hatten. Davon profitiert letztlich niemand.

Vergütungsregel aufgeweicht

Eine weitere rote Linie betraf den Beteiligungsanspruch zugunsten der „Urheber sowie der Inhaber von Rechten an anderen nach diesem Gesetz geschützten Schutzgegenständen“. Gemäß Artikel 15 der DSM-Richtlinie sollen sie an den Einnahmen aus dem Leistungsschutzrecht des Presseverlegers angemessen beteiligt werden. Die Referentenentwürfe sahen vor, die Höhe der Beteiligung auf mindestens ein Drittel der Einnahmen festzusetzen.

Den Verlegern war das ein Dorn im Auge. Also stellten sich BMWi und BKAmt quer; diese Mindestquote sollte wieder gestrichen werden. Sie begründeten dies scheinheilig mit der Privatautonomie, die anderenfalls beschränkt werde. Die CDU-Ministerien setzen also darauf, dass die Kreativschaffenden sich mit ihren Arbeits- und Auftraggebern anlegen müssen, um eine Beteiligung zu erstreiten. Wer hier am längeren Hebel sitzt, ist eindeutig.

Im Regierungsentwurf ist die Mindestquote von einem Drittel zwar weiterhin enthalten. Allerdings kann von ihr „durch eine Vereinbarung abgewichen werden, die auf einer gemeinsamen Vergütungsregel (§ 36) oder einem Tarifvertrag beruht.“ Dies ist ausdrücklich zum Nachteil der Kreativschaffenden möglich. Damit haben die Verleger einen nicht zu verachtenden Teilerfolg erzielt. Während der bisherige Vorschlag keine Möglichkeit vorsah, die Beteiligung zu verringern, bekommen sie nun gleich zwei Ansatzpunkte an die Hand.

Erfolgreiche Lobbyarbeit auf ganzer Linie

Auch an anderer Stelle konnten sich die Presseverlage durchsetzen. Anders als von der EU-Richtlinie vorgegeben, soll das Presseleistungsschutzrecht vom Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) erfasst sein. Die Kritik daran blieb unberücksichtigt.

Das UrhDaG setzt Artikel 17 der DSM-Richtlinie um. Danach sollen die Betreiber bestimmter Online-Plattformen im Grundsatz immer für die Urheberrechtsverletzungen haften, die ihre Nutzerinnen begehen. Ihrer Haftung können sie sich allerdings unter anderem dadurch entziehen, dass sie eine Lizenzvereinbarung mit den Rechteinhabern schließen. Das soll auch gegenüber Presseverlagen gelten, obwohl die Richtlinie dies nicht vorsieht.

Was dies bedeutet, bringt Julia Reda auf den Punkt: „Das ist eine enorme Gefahr für die Informationsfreiheit, weil Presseartikel noch viel häufiger als jede andere Medienform legale Zitate fremder Werke enthalten. Werden Presseartikel in einen Uploadfilter eingespeist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass fälschlicherweise andere Texte gesperrt werden, die dasselbe Zitat enthalten.“

Als Beispiel nennt Reda das Zitat aus einer Rede der Bundeskanzlerin, das zahlreiche Medien unabhängig voneinander wiedergeben. Doch die Gefahr für die Informationsfreiheit geht weit darüber hinaus. Nach der DSM-Richtlinie soll auch Nachrichtenagenturen ein Leistungsschutzrecht an ihren Presseerzeugnissen zustehen. Fast jede Nachricht zum tagesaktuellen Geschehen besteht (teilweise) aus Agenturmeldungen – dafür gibt es sie!

Umsetzung bis Sommer

Als nächstes wird sich der Bundestag mit dem vom Kabinett beschlossenen Regierungsentwurf befassen. Bis zum 7. Juni 2021 müssen die Vorgaben der DSM-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt sein.

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